Es sind anspruchsvolle, in Bewegung wie in Gedanken atemberaubend komplex differenzierte Körpersprachbilder, die den Allroundern der jüngsten Tänzergeneration zu deren uneingeschränkter Freude alles abverlangen. Die Nürnberger Compagnie stürzt sich ungefährdet in die erstaunlich oft miteinander kommunizierenden Herausforderungen, beherrscht aber jederzeit auch deren unterschiedliche Technik. Bei Altmeister Jiří Kylián sind die Frauen im Trommelschlag von Steve Reich, wie sie da in ihren asexuellen Badetrikots an der Weggabelung zwischen Turnvater Jahn und Schwimmkönigin Esther Williams zu neuen Zielen aufzubrechen scheinen, die Sogkräfte unbezwingbarer Dynamik bei gleichzeitig durchschimmernder Pathos-Distanz. Bei Jungmeister Marco Goecke steckt in der Hommage an Patti Smith, in der Verbeugung vor deren Größe, auch gleich ein Energiestoß, der den Tanzenden elektrisierend durch Hand und Fuß fährt. In dieser Rangfolge, als ob Pina Bausch nochmal kurz vorbeigeschaut hätte. Das gleitende Kommen und Gehen von solistischen Momenten bei aufflackernden Irrlichtern bestimmt Goerckes Aktion, doch Kylián lässt das Kollektiv nicht einen Augenblick lang aus dem Blickfeld und betont so die offensive Mitverantwortung. Bühnenbilder brauchen sie beide nicht, das Licht schafft Architektur genug.
Goyo Montero macht am meisten „Theater“, und das will er offenbar auch so. Während bei Kylián und Goecke nach den Häutungen der Figuren (hier das wiederholte Befreiungszupfen am schlecht sitzenden Badetrikot, dort die aufdringlich am Körper klebende Tattoo-Verheißung) die starken Bilder im Raum spurlos verlöschen, setzt Montero zum Finale mit der Verwandlung der angeblich so bodenständigen Männerwelt in den Schwebezustand schemenhafter Luftballons einen spektakulären Bilanz-Schlusspunkt, der sich nicht abschütteln lässt, obwohl oder weil er so nah an den Kitsch gebaut ist. Erkennbarer Wirkungstreffer beim jubelnden Premierenpublikum, das über der Illusion von schwebenden Tänzern die erwünschte Gender-Perspektive wohl erst mal vertagte.