Nach einer langen, dunkel-dynamischen Ouvertüre voller Emotionen ist schnell klar, dass es hier nicht (nur) um ein Liebesdrama geht. Kuntze zeigt zwei Machtmänner, wie es sie auch heute wieder gibt, die blindlings und voller Wut aufeinander losschlagen, koste es, was es wolle. Und so weht auf der linken Bühnenseite zwar die rote Fahne der Moskowiter, rechts aber die der Ukraine, die am Ende des ersten Aktes in Flammen aufgeht. Es geht um Macht und Vernichtung – Kotschubej (Ulrich Burdack) will den Widersacher an den Zaren verraten, scheitert damit und wird selbst zum Verfolgten.
Martin Fischer (Bühne und Kostüme) hat dafür einen riesigen Machtraum auf die Bühne gebaut, dem die Drehscheibe immer neue Perspektiven hinzufügt. Im zweiten Akt wird der Raum zum Folterkeller, zunächst hinter dem Eisernen Vorhang, an dem Maria (Anne Preuß) lauscht, als ahne sie etwas, aber weitergeht. Als der Vorhang sich hebt, sind dort der geschlagene, gefesselte Kotschubej, den Ulrich Burdack vom etwas pathetischen Familienvater zum stolzen Aufrührer und Verlierer entwickelt, und sein Freund Iskra (Du Wang). Beiläufige Tritte, Waterboarding in einer Blechwanne – die Inszenierung deutet genug der Folter an, ehe sich vor der „Nacht der Qualen“ der Vorhang senkt. Doch die Musik lässt ahnen, was dahinter vorgeht.
Die Klänge in Tschaikowskis 1884 uraufgeführter Oper sind vielgestaltig: Mal elegisch, dann voller Energie, triumphierend aufbrausend, dann fein gezeichnet. Instrumentalsoli setzen über dem Orchesterklang feine Akzente, aber noch das Heitere klingt immer dunkelgesäumt. All diese Facetten arbeitet das Orchester unter GMD Laurent Wagner wunderbar heraus und trägt die Sänger. In der Premiere sind bis auf zwei Ausnahmen alle Partien aus dem eigenen Ensemble besetzt, überzeugende Sängerdarsteller bis in die kleineren Partien (Anne Schuldt als Marias Mutter, Gast vom Staatstheater Braunschweig). Allen voran Johannes Beck als Masepa, immer in Uniform, nie als Privatmensch, der sich nur einmal berührend in die Seele blicken und hören lässt, ansonsten klingen seine Liebesschwüre nach dem, was sie gerade verbergen sollen: nach der Sucht nach Ruhm und Macht allein. Und noch am Ende, als selbst Geschlagener, als Flüchtender, bleibt er ein Machtmensch.
Der Machtraum ist da nur noch ein Ort der Verwüstung: Flammen, Trümmer, Fliehende, Sterbende. Hier irrt Maria (Anne Preuß mit soviel Naivität wie Kraft) umher. Vater, Mutter, Masepa gehen an ihr vorbei, ohne dass sie sie sieht. Ein wenig wirkt sie wie Gretchen im Kerker: kindlich, verzweifelt, ver-rückt. Dann klingt wie ein Echo die Stimme ihres Jugendfreundes Andrej (Hans-Georg Priese), der sie liebt, zu ihr. Mit ihm singt sie ein ergreifendes Todes-Duett, ehe sie selbst, eine Mischung aus Volks- und Kinderlied singend, in einem freundlichen Wahn erlischt. – Das Publikum holte spürbar erst mal Luft, ehe die ersten Bravos kamen.
Weitere Termine: 30. April, 19. Mai; 24. Juni