Foto: Vladislav Sulimsky und die Statisterie der Salzburger Festspiele in "Macbeth" © Bernd Uhlig
Text:Roland H. Dippel, am 30. Juli 2023
Roter Linoleumboden und zahlreiche Bildschirme bestimmen die neue Produktion von Verdis „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen. Abgesehen von einem Höhepunkt kann die Inszenierung von Krzysztof Warlikowski leider nicht überzeugen. Dafür holt Philippe Jordan das Beste aus der Partitur.
Einmal mehr holte sich der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski für Verdis Shakespeare-Vertonung auf das knappe Libretto von Francesco Maria Piave und Andrea Maffeí Inspirationen aus Filmen. Aber die weitaus eindringlicheren Momente holte Philippe Jordan am Pult der Wiener Philharmoniker aus dem Orchestergraben des Großen Festspielhauses in Salzburg. Man spielte die um die Ballettszene und den Sylphidenchor erleichterte Pariser Fassung von 1865 und fügte vor dem Triumph-Finale die Sterbeszene Macbeths aus der Florentiner Erstfassung von 1847 ein. Das Orchester verblendet am Premierenabend ein wunderbar sattes Verdi-Brio mit stark aufgewerteten Nachtfarben und Tiefen-Registern.
Wie die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor die volle Bühnenbreite des Großen Festspielhauses ausfüllt, macht massiven räumlichen Effekt. Noch mehr, wenn die Hexen – sie sind in Salzburg strickende frauliche Alltagswesen mit vielen Kindern – hereingefahren werden (Einstudierung: Jörn Hinnerk Andresen). Nach dem Chorgesang „Patria oppressa“ entfiel der an dieser Stelle sonst selbstverständliche Szenenapplaus. Die kleinen Partien waren alle optimal besetzt: Grisha Martirosyan als aufgewerteter Diener Macbeths, Herold und erste Erscheinung, der in seinen Einwürfen äußerst kräftige Evan LeRoy Johnson als Macbeths legitimer Threonerbe Malcolm, Caterina Piva als Kammerfrau der Lady, Aleksei Kulagin als Arzt, Hovhannes Karapetyan als Mörder sowie die Solisten der Sankt Florianer Sängerknaben.
An der Tafel von Macbeth
Krzysztof Warlikowski fand in seiner nach Henzes „The Bassarids“ und „Elektra“ dritten Inszenierung bei den Salzburger Festspielen nur in der Festszene zu einer definitiv packenden Personenregie auf Höhe des möglichen Spannungspotenzials: Beim Festbankett sitzen Macbeth und die Lady, das frisch gekrönte Königspaar, mit seinem treuen Vasallen Macduff an einem Tisch. Frau Macduff und Sohn – diese Shakespeare-Rollen und die kurze Szene mit beider grausamer Ermordung ließ Verdi unvertont – sind auch dabei. Der Platz des soeben gemeuchelten Banco bleibt leer. Tareq Nazmi als Banco und Jonathan Tetelman als Macduff sind ganz große Klasse.
Nach dem Besuch der Lady beim Gynäkologen im Vorspiel und dieser Szene verlässt sich Warlikowski auf die imponierenden Raumdimensionen des großen Festspielhauses und eine Galerie, von der das Publikum im Rang und auch dort nicht unbeträchtlichen Platzpreisen die Figuren nur vom Rumpf abwärts sieht. Am Ende werden die am Ende Entmachteten von befreiten Massen umringt und demzufolge vom unsteten Lauf des Macht-Karrussels zermalmt.
Großartiges Ensemble in Salzburg
Macbeth ist ein Versehrter schon lange vor seinem Ende: Er humpelt wie nach einem leichten Schlaganfall. Er hat eine Wunde in der Leistengegend (Achtung: Impotenz) und sitzt im Rollstuhl, wenn die Lady nach Aufschlitzen der Pulsader in letzter Sekunde gerettet wird. Nach den drei Sopran-Hauptpartien in Puccinis „Il Trittico“ im Vorjahr riskierte Asmik Grigorian die heimtückisch komponierte Partie der Lady.
Bei Warlikowski leidet sie an ihrer Unfähigkeit zu gebären. Den in die Eingeweide des Publikums dringenden Shakespeare-Schauder, welchen Verdi mit fast gesprochener, gestoßener Deklamation und fahlem Piano erreichen wollte, erzielt Grigorian mit präzis und plausibel erarbeitetem Gesang. Ihr ganz großer Moment ist die Arie „La luce langue“. Wie Grigorian zwischen kurzem Zögern und energischer Tatdas deren Sinn erschließt, gerät unnachahmlich.
Anspielungsreiche Bühne im Festspielhaus
Wenn man den roten Linoleumboden von Małgorzata Szczęśniaks Ausstattung ernst nimmt, ist das Geschehen sehr wahrscheinlich im politischen Osten verortet. „Macbeth“ spielt in einem Wartesaal mit langer Holzbank. Multifunktional kann das ein Versammlungs- und Festraum sein. Auch eine Tribüne für Zuschauer- und Jubelmassen gibt es, vor allem aber zwei riesige Monitore für Film-Zitate und digitale Eigenbeiträge. Deren dramatische Kausalität erschließt sich schwer oder wirkt zumindest vieldeutig.
Ideenkicks für die Kostüme lieferte Bernardo Bertoluccis Film „Der große Irrtum“ nach Alberto Moravias Roman „Der Konformist“. Ist verdrängte (Homo-)Sexualität als psychologische Begründung für Faschismus und durch diesen legitimierte Gewalt-Eskalationen für diesen Macbeth relevant? Für Vladislav Sulimskys Interpretation der Titelpartie wäre diese Assoziation nur bedingt anwendbar. Er liefert ausdrucksvollen und intensiven Gesang, der sich allerdings auf die von Verdi klar fokussierten Etappen von Macbeths Mordskarriere nicht allzu intensiv einlässt.
Jubel für die Musik
Macbeth sieht fern: In direkter Assoziation zu den Machtmorden steht der verhängnisvolle Kinderwunsch in Pasolinis „König Oedipus“ und aus „Das 1. Evangelium – Matthäus“ die Flucht nach Ägypten mit dem Bethlehemitischen Kindermord. Am Ende gibt es auf den Screens Symbolisches. Zur Schlusshymne trifft in Trickfilmen von Kamil Polak und Denis Guéguin ein Knabe auf drei non-binäre Wesen. Das könnten die Hexen und Macbeth als Kind sein, aber auch andere mythische Konstellationen. Warlikowski dachte offenbar ein letztes Mal an Moravia und Bertolucci.
Die von Verdi scharf vertonte Motorik des Verbrechens und die Shakespearsche Dimension wird durch Warlikowskis Panorama ästhetisch gemildert. Die Handlung verliert durch das assoziative Um-die-Ecke-Denken-Müssen für die Inszenierung viel von ihrer Gefährlichkeit und abschreckenden Dynamik. Der Jubel für die musikalische Leistung war groß, die Ablehnung der Inszenierung von einigen Gruppen lautstark.