Foto: Angela Denoke als 'Königin' am Nationaltheater Mannheim © Nationaltheater Mannheim
Text:Andreas Falentin, am 13. Februar 2017
Am stärksten ist dieser kleine, ungewöhnliche Abend, wenn er aus nachtschwarzer Stille entwickelt wird, wenn sich diese Stille um die Wörter und Klänge zusammenzuziehen scheint. So steht am Ende die fabelhafte Angela Denoke in einer Lichtsäule im Zentrum der von Martin Kukulies mit fast geometrisch angeordneten Kriegs- und Zivilisationstrümmern bestückten Drehbühne, lauscht unsichtbaren Worten und schneidet sie ab mit „Träume“, Richard Wagners letztem Wesendonck-Lied – und dem einzigen, das er selbst instrumentiert hat.
Denoke ist „La Reine“, die Königin, die zentrale Figur in dieser als Auseinandersetzung mit der Romantik an sich gedachten Performance. Der vor allem für seine Heiner-Müller-Inszenierungen bekannte Regisseur Thomas Bischoff hat sich diese Konstellation ausgedacht, in der eine Sängerin mit Berlioz „nuits d’été“ und Wagners Wesendonck-Liedern gegen ein Schauspieler-Terzett gestellt wird, dessen Text aus Gedichten von Arthur Rimbaud und Gottfried Benn besteht. Dazu kommt der geradezu leitmotivisch repetierte Text „der Jäger“ von Wilhelm Müller, allerdings ohne Schuberts berühmten Tonsatz. Es ist durchaus eine Tragik dieser Inszenierung, dass Bischoff nach zehn Tagen Probe erkrankte und Chefdramaturg Jan Dvorak die Arbeit mit dem Ensemble weiterzuführen hatte. Denn was auf der Bühne des Nationaltheaters zu sehen ist, ist eher eine Ideenskizze als ein ausformulierter stringenter und sinnlicher Theaterabend. Sänger und Schauspieler bewegen sich wie tastend durch Worte, Töne und Klänge. Wo sie diese Haltung aufgeben, Konfrontationen, klare Bühnenaktionen suchen, ostentativ miteinander spielen, auch mal laut werden, zerfasert die aufgebaute brütende Spannung, scheint sich das Konstrukt zu sperren.
Die Schauspieler, als Ritter, Nonne, ‚Weib‘ kostümiert und rätselhafter Weise (Romantik?) mit Rapieren bewaffnet, scheinen Gewissensstimmen zu sein. Sie führen der ‚Königin‘, die immer wieder versucht, ihnen zu entkommen, indem sie sich in die Schönheit der Musik zurückzieht, vor Augen und besonders vor Ohren, dass Machtausübung Folgen hat, Verantwortung, Verantwortlichkeit nach sich zieht. Dafür setzt das Regieteam einen sozusagen dialektischen Rahmen, entwickelt das Projekt auf nahezu allen Ebenen wahrnehmbar aus eindeutigen Gegensätzen: Schönheit und Entsetzen, einst und jetzt, Sprechen und Singen, auf der Drehbühne und davor, Rimbauds schwärmerische Postromantik und Benns eiskalter, fast dokumentarischer Expressionismus. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Packend wird es da, wo diese Gegensätze gefüllt oder aufgelöst werden, wenn etwa die Sängerin Angela Denoke mit staunenswerter Kraft und fein changierender Modulation zur Sprecherin wird und ihre ‚Stimmen‘, die Schauspieler, gleichsam mit ihren eigenen Waffen bezwingt. Angela Denoke trägt diesen Abend, spinnt besonders bei Berlioz feine Linien, singt Wagner fast introvertiert, macht die Stimme hier, durchaus eigenwillig, an keiner Stelle auf, hat für beide Zyklen faszinierend dunkle Schattierungen parat. Kostümiert wie eine Schamanin, wird sie mit Berlioz‘ Liedern, ihrer Duftigkeit und Luftigkeit, fast zu einer Priesterin der Resignation, des Rückzugs in die Idylle, die schon in Wagners Wesendonck-Liedern nicht mehr zu finden ist. Hier gibt es keine hingetupfte Eleganz mehr, ist alles schwerblütige Leidenschaft (Musik) und kitschnahe Seelenergießung (Text), wackelt der Tonfluss schon mal leicht. Zu nah dran. So mordet die Königin ihre Stimmen auf offener Bühne, macht sich frei von der Vergangenheit – und sperrt sich so spürbar in ein neues, schwer zu benennendes Gefängnis.
Benjamin Reiners und das Orchester begleiten überaus sensibel, bleiben dabei stets transparent und zwingen die Sängerin nie in die Exaltation und Catherine Janke, Frank Richartz und Fransziska Rieck entledigen sich ihrer durchaus undankbaren Aufgabe mit großer Präzision. Dennoch reagieren Teile des Publikums mit spürbarem Widerstand. Ob der auf die große Menge höchst anspruchsvoller, schwer zu entschlüsselnder und hochpoetischer Texte zurückzuführen ist, die kaum gefiltert zu verarbeiten sind oder auf die Tatsache, dass hier ‚schöne‘ romantische Musik räumlich in ungeschminkt hingestellten Kulturtrümmern des 20. Jahrhunderts verortet wird, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Ein Gegensatz mehr.