In der Ausstattung von Lani Tran-Duc und Anika Marquardt lässt ein Lamellen-Jalousie-Halbrund das Spiel mit Transparenz und Intransparenz zu – und ermöglicht Videoprojektionen von TV-Interviews mit investigativen Journalisten, Tätern und Staatsvertretern, die nicht willig oder in der Lage waren, etwas gegen die Bandenkriminalität auf dem Aktienmarkt zu tun. Ausgangspunkt und Zentrum der Aufführung ist ein achtstündiges Interview mit einem Whistleblower. Anfangs wird er von einem Schauspieler gespielt als Landei, das seine Spießerträume vom Porschefahren, einer Villa auf Mallorca und Übernachtungen in Luxushotels über ein top absolviertes Jurastudium realisieren will. Es gewährt Aufnahme in eine weltweit Firmen und Regierungen beratende Anwälte-Loge: Tummelplatz von Turbokarrieren und Millionenprofiten. Nach und nach übernehmen alle drei Darsteller die Rolle des Insiders und verwandeln sie in eine Theaterfigur. Nicht um empathisches Ergründen geht es, wie der naive Junge als Testosteron-Junkie in der Parallelwelt versackte, sondern um die Auseinandersetzung mit seiner Selbstinszenierung. Um das Prinzip Raffgier. Witzig, wütend, lebendig kommt die Inszenierung daher. Immer nah an den Fakten, die mit theatralen Mitteln durchleuchtet und kommentiert werden. Jonas Anders, Ruth Marie Kröger und Günter Schaupp tanzen in lustiger Enthemmtheit im Geld symbolisierenden Glitzerflitterregen, schleichen wie eine Panzerknackerbande über die Bühne, übersetzen das Finanzgebaren in fabelhafte Kabarettszenen und spielen die Faszination der Insignien von Macht und Reichtum ironisch mit. Das Bühnengeschehen wirkt improvisiert, ist aber ein dramaturgisch klug collagiertes Hinterfragen, Konterkarieren, Überspitzen. Die Empörung wird dabei anschlussfähig fürs Publikum, die Steuerzahler, die schließlich die Opfer sind, wurden doch gezahlte Steuern vieler zum Privatvergnügen weniger entwendet. Sehr wichtig der Hinweis von der Bühne, dass in heutigen BWL- und VWL-Studiengängen eben dieses Denken gelehrt wird: Steuergesetze seien nur Herausforderungen, Strategien des Hintergehens zu realisieren.
Im Nachhinein geradezu vorbildlich wirkt das Stück, weil es zeigt, wie schnell Theater mit seinen Mitteln auf aktuelle Themen reagieren kann. Gerade Stadttheater nehmen sich ja häufig diese Möglichkeit durch jahrelang im Voraus zusammengestellte Spielpläne. Außerdem erfreulich: Die Produktion ist konventionell, aber handwerklich solide mit gutem Ton abgefilmt worden, ein paar Überbelichtungen stören nicht. Der Wechsel von der Totalen zu Halbnah- und Naheinstellungen gibt dem Video einen schönen Drive, die Atmosphäre einer Aufführung mit Publikum vermittelt sich. „Cum-Ex Papers“ ist zu streamen über die Videoplattform Spectyou.