Foto: Szenenbild der Produktion, die im November 1990 im Theaterhaus Düsseldorf ihre Premiere erlebte © Theater der Klänge
Text:Andreas Falentin, am 9. April 2020
Es ist ein Paradox: Einerseits fast zwei Stunden Wortgeklingel als Live-Mitschnitt im Einheitsbühnenbild, im steten Wechsel von Totale und Nahaufnahme und nahezu im Einheitslicht (vermutlich um die Aufnahmetechnik aus dem Jahr 1990 nicht zu überfordern), andererseits eine inhaltliche Aussage, die nicht eine Minute gealtert ist.
Das Theater der Klänge aus Düsseldorf hat es seinem treuen Publikum noch nie leicht gemacht. Das gilt auch für die Bearbeitung von Arnold Weskers „Küche“ aus dem Jahr 1961, die erste „Annäherung an Sprache“ der freien Gruppe, die eigentlich in der Verbindung von Musik und Bewegung ihr Zentrum hat und mit Rekonstruktionen und Interpretationen der Bauhaus-Ästhetik internationales Renommee erlangte. Nach „Die mechanische Bauhausbühne“ und „Die barocke Maskenbühne“ war die dritte Produktion des Ensembles tatsächlich „something completely different“. Jörg U. Lensing, Gründer und Spiritus rector des Theaters der Klänge bearbeitete Erich Frieds Übersetzung 1990 mit Erlaubnis des Autors auf die Verhältnisse im Deutschland der Früh-Nachwendezeit hin. Es wird, durchaus zur Gaudi des Publikums, gesächselt und in diversen Akzenten gesprochen. Denn in dieser Restaurantküche im Dauereinsatz arbeiten Menschen aus -zig Nationen. Jürgen Steger hat ein realistisch aufbereitetes Einheitsbühnenbild entworfen, in dem die 26 Darstellerinnen und Darsteller hochpräzise Restaurantarbeit mimen, mit viel realem Küchenequipment, aber ohne eine einzige reale Zutat. So entsteht durchgängiges Luftkochen, was gerade in den Großaufnahmenskurril wirkt. Auch die Rollen- und Ensemblearbeit pendelt ein wenig unentschieden zwischen präzisen, das Sprechen einschließenden, choreographischen Abläufen und bravem, gelegentlich das Absurde streifendem Realismus, dem, gerade in seinen wenigen Ausritten ins Boulevardeske, etwas angenehm Unbeholfenes anhaftet.
Was großartig gelingt, ist die Hellsichtigkeit von Weskers Parabel bloßzulegen. Hier zeigt einer vor fast 60 Jahren bereits einen Blick auf eine erbarmungslos durchorganisierte Gesellschaft, in der sich Toleranz und Solidarität zusehends minimieren. Lensing hat da an vielen entscheidenden Stellen klug zugespitzt, wobei er das Plakative nicht scheut. Da gibt es den unverbesselichen Nazi, den Antisemiten, das Ablehnen Andersdenkender, die ganz normale Ausländerfeindlichkeit, den kleinbürgerlich grundierten Eskapismus, die krankhaft selbstbezogene Profitgier, die existenzielle Überforderung oder den Wunsch, aus dem eigenen Leben auszubrechen, ohne die Verantwortung dafür tragen zu müssen. Willkommen im Jahr 2020!
Dass diese „Küche“ trotzdem kein Genuss ist, zumindest kein reiner, liegt an der zu Beginn angesprochenen, durch den Medientransfer verursachten Reizarmut. Man hat die Einheitsküche mitsamt ihrer tempogeladenen Vielstimmigkeit doch schnell über, obwohl nicht verschwiegen werden darf, dass es echte Höhepunkte gibt wie der Schlussmonolog des Restaurantbesitzers (Benno Boudgoust) oder das atemberaubend genaue und wilde Voll-Ensemble-Durcheinander vor der Pause. Da ist man plötzlich wieder gefesselt.
„Die Küche“ ist der dritte Streaming-Abend des Theaters der Klänge. Jeweils von Donnerstag bis Sonntag lässt das Ensemble streamend seine Karriere von Anfang an Revue passieren,ein Stück die Woche. In der 27. Woche der Corona-Krise, die es hoffentlich nicht geben wird, wäre dann mit „das Lackballett“ die aktuelle Produktion an der Reihe. Das ungewöhnliche Angebot ist mit einer Bitte um Spenden verknüpft. 5000 Euro möchte die Gruppe erzielen, um halbwegs ungeschoren aus der zeit der Untätigkeit wieder herauszukommen. Es ist zu wünschen, dass das klappt, auch wenn Theater, auch und gerade das des Theaters der Klänge letztlich doch nur auf der Bühne reüssiert.