Foto: Rottweiler Historienspiel © Cordula Treml
Text:Cordula Treml, am 10. Juli 2019
Auf der Bretterbühne des Sommertheaters im Rottweiler Bockshof steht ein vornehmer Bourgeois im schwarzen Anzug, der hartnäckig von einem eleganten Wesen mit spitzfingrigen schwarzen Lackhandschuhen, langem roten Mantel und einem winzigen Teufelshörnchen umgarnt wird. Die geheimnisvolle, wie aus dem Nichts aufgetauchte Gestalt versucht ihm einen teuflischen Pakt aufzuschwatzen. Der schwarz gekleidete Mann willigt ein und schon ist der Deal perfekt. Was man oberflächlich für einen klassischen Faust-Mephisto-Plot halten könnte, ist im Rottweiler Sommertheater aber weit mehr als das, denn hier haben Peter Staatsmann und Bettina Schültke, die Intendanten des Zimmertheaters Rottweil, mit vereinten Kräften ein vollkommen neues, originäres Musical auf die Bühne gestellt. Staatsmann selbst schrieb den Text, Dorin Grama und Robert Kopf komponierten Musik und Songs. Von Hipp Hopp über Swing bis zu gelegentlichen militärischen Klängen und traurigen Balladen, gespielt von Bläsern der Stadtkapelle, wird ein anspruchsvoll komponierter, sehr abwechslungsreicher musikalischer Teppich von der Gründerzeit bis heute gewoben, der die Bewegungen auf der Bühne akustisch unterstreichen.
Erzählt wird die Geschichte des berühmten Rottweiler Industriellen Max Duttenhofer, der es im 19. Jahrhundert durch die Erfindung eines rauchfreien Pulvers zu Weltruhm brachte und die Entwicklung der Stadt bis heute prägte. Duttenhofer gilt in Rottweil nach wie vor als äußerst ambivalente Figur, denn er verhalf der Stadt zwar zu großem Reichtum, schuf mit seinem Imperium aber auch ein Monopol, das keine anderen Unternehmen vor Ort duldete. Außerdem bediente er sich der Industriespionage in Frankreich – das ergaben Archivrecherchen im Zuge der Stückentwicklung –, um seine Innovation auf den deutschen Markt zu bringen. Im Stück gerät Duttenhofers Spionageakt zum Teufelspakt.
Der Stoff ist also lokalgeschichtlich verankert, hat aber angesichts Duttenhofers immenser wirtschaftlicher Expansion auch weltgeschichtliche Bedeutung. Dank eines äußerst geschickten Kniffs gelingt Staatsmann hier der Bezug zum Heute: er lässt eine Theatertruppe ein Stück über das Leben Duttenhofers proben und schon sind wir mitten im Geschehen! Neun professionelle Schauspieler, die alle Doppelrollen spielen, werden dabei unterstützt von begabten Laien aus Rottweil, die die Bürger der Stadt verkörpern, sowie vom Bürgerchor der geschundenen Fabrikarbeiterinnen. Für diese Produktion konnte Peter Staatsmann großartige schauspielernde, singende und tanzende Künstler gewinnen, zum Teil Schauspieler, mit denen er regelmäßig im Zimmertheater arbeitet, wie Petra Weimer in der Rolle der Anna Duttenhofer, Isabelle Groß de Garcia und Serjoscha Ritz. Meinolf Steiner als Hauptfigur Max Duttenhofer und Boris Ben Siegel als teuflischer Gesell sind zum ersten Mal dabei.
Es macht großen Spaß, der motivierten Truppe zuzusehen, besonders in der letzten Szene laufen alle nochmals zu Höchstform auf und liefern eine urkomische Slapstick-Nummer ab, nämlich dann, wenn die Grenze zwischen Historie und heutiger Wirklichkeit verwischt und die Figuren wieder zu zeitgenössischen Personen werden, zu den Mitglieder der Theatertruppe, die sich um historische Genauigkeit bemüht. Spätestens, wenn das riesige Banner eines potenziellen Sponsors gehisst wird, der die Künstler aus ihrer finanziellen Misere retten soll, bleibt einem das Lachen abrupt im Halse stecken. Anklänge an die Gegenwart, an aktuelle politische Verflechtungen sind dabei nicht zu überhören. Staatsmann und seinen Schauspielern gelingt eine subtile Gratwanderung, die diese Missstände zwar nicht verheimlicht, aber dennoch niemanden verstimmt und zum Schluss elegant von der Historie wieder ins Heute führt. Bis 4. August 2019 ist dieses gelungene Sommertheater im Rottweiler Bockshof zu sehen