Foto: Eric Laporte, Don Lee, Tomasz Kauzny, Kwang-Keun Lee; Opern- und Extrachor des Theaters Ulm; Statisterie des Theaters Ulm © Hermann Posch
Text:Eckehard Uhlig, am 24. März 2016
Von wegen „am Ufer der Schelde bei Antwerpen“, von wegen fürstlich gewandete „Edle von Brabant“ und Knappen in silbern blinkender Wehr. Operndirektor Matthias Kaiser inszeniert im Ulmer Theater den ersten Aufzug von Richard Wagners „Lohengrin“ in zeitgenössischem Ambiente. Die von Detlev Beaujean eingerichtete Bühne zeigt einen hochgewölbten grauen Beton-Bunker, einen digital vernetzten Sicherheitstrakt mit Fahrstuhl im Hintergrund. An einer langen, links zur Bühnenrampe ausgerichteten Tafel tagen Vorstand und Büroleiter eines militärisch-industriellen Komplexes – in Anzug, Schlips und Kragen, vor aufgeschlagenen Laptops sitzend, von beflissenen Sekretärinnen in schwarzweißen Courrèges-Kleidern umhegt. Rechts stehen kampfeshungrige Offiziere in roten Ledermänteln und Panzer-Baretts. Dazwischen einige Flintenweiber, die in ihren Uniformen wie DDR-Volkspolizistinnen aussehen. Alle werden bewacht von Security-Sheriffs mit Maschinenpistolen im Anschlag. Auftritt König Heinrich, eine fröhliche Herrenreiter-Figur in jagdlicher Kluft (Kostüme Angela C. Schuett). Seine schmetternden Trompeten-Herolde blasen zur Jagd.
Doch halt! Matthias Kaiser hat einen Regie-Einfall, der überraschend gut funktioniert. In diese Versammlung, die eigentlich chorisch vom bevorstehenden Heerzug schwadronieren will, aber ein Problem mit Friedrich von Telramunds Anspruch auf die Brabanter Thronfolge hat und einen Urteilsspruch des königlichen Richters erwartet, bricht ein wahres Opernwunder herein. Denn Elsa, die legitime Thronfolgerin und Ausbund tugendhafter Reinheit, von Telramund des Mordes an ihrem Bruder Gottfried bezichtigt, ruft den Gralsritter zu Hilfe, der seinen Namen nicht nennen darf. Nachdem auf Wand-Bildschirmen verschwommen ein Schwan seine Runden dreht, im geöffneten Fahrstuhl eine überdimensionierte, weiß gleißende Schwanen-Schwinge zu sehen ist, flackert das Licht wie in einem Hitchcock-Film. Aus einer anderen Welt erscheint Elsas Retter Lohengrin in Siegerpose, glanzvoll mit Lockenpracht, Schwert auf dem Rücken und sonstigen historisierenden Symbolen und Beigaben ausstaffiert, als sei er der (in Wagners romantische Oper manisch verliebte) Bayernkönig Ludwig höchstselbst.
Dieser Opern-Glücksaugenblick ist als zentrales Ereignis herausgearbeitet, kann freilich in den Folge-Aufzügen kaum noch übertroffen werden. Da wandelt sich (im 2.Aufzug) das Gewölbe in eine bläulich vernebelte Laster-Höhle, in der das Böse haust und die heidnische Zauberin Ortrud Sadomaso-Spielchen mit ihrem erniedrigten Telramund treibt und den ihr Hörigen zu monströsen Untaten zwingt. Der Hochzeitstag von Elsa und Lohengrin wird anfangs mit endlos langem Brautschleier verspielt anmutig als strahlende Feier zelebriert. Im anschließenden Streit der beiden Frauen um den Vortritt beim Kirchgang wirkt der Kontrast etwas zu stark: Ortrud ist dominant übermütig, Elsa armselig schwach.
Im letzten Aufzug zerbricht das Wunder des Wahns, als Lohengrin seinen Namen nennen muss. Der Sohn Parzivals kehrt heim zum Gral, der ihn ausgesandt hat. Der rechtmäßige junge Herrscher Brabants kommt im Fahrstuhl zum Vorschein. Die bekannte Schwäche dieses Opernschlusses manifestiert öfters die Ratlosigkeit der Regisseure. In der Ulmer Aufführung ist Gottfried im Führer-Gewölbe, dessen militaristischer Charakter zuvor per projiziertem NATO-Hochglanzwerbefilm mit Kampfflugzeugen und Soldaten verstärkt wurde, ein blondes Jüngelchen in Hitlerjugend-Montur, ein schwacher Auftritt mit den einschlägigen Nazi-Assoziationen.
Rundum erfreulich die musikalische Seite der Inszenierung. Herausragend agiert und singt Eric Laporte als Lohengrin. Makellos seine Wortdeutlichkeit, dramatisch metallisierend sein Tenor in kämpferischen Szenen, von lyrischem Wohllaut und leuchtender Klarheit nicht nur seine herrliche Gralserzählung („In fernem Land“). Tapfer kämpft sich die Sopranistin Sabina Martin durch ihren hochgradig schwierigen Part und hat im 2.Aufzug starke Momente. Mitreißend abgründig, mit durchgängig kraftvoller Mezzo-Stimme präsentiert sich I Chiao Shih als Ortrud. Rollendeckende Leistungen bieten auch die weiteren Protagonisten. Guido Jantjens, Einspringer für den erkrankten Don Lee, gibt König Heinrich mit großer Selbstverständlichkeit. Kwang-Keun Lee als wendiger Telramund und Tomasz Katuzny als „Heerrufer“ ergänzen das Vokalsolisten-Ensemble.
Generalmusikdirektor Timo Handschuh animierte die Chöre des Theaters, die sich in ihrer darstellerischen Funktion als blendende Mitspieler erweisen, zu Klangwucht und Furor und überwölbte mit seinem Philharmonischen Orchester der Stadt Ulm pulsierend die weitläufige Struktur der faszinierenden Wagner-Musik. Ein Meisterstück lieferten die Interpreten gleich zu Beginn mit dem „Lohengrin“-Vorspiel ab: In schimmerndem A-Dur enthüllten die vielfach geteilten, in zartestem Pianissimo und hohen Lagen musizierenden Geigen gleichsam die heilige Welt des Grals. Eben nicht nur renommierte Festspiel-Häuser und Staatsbühnen sind dazu fähig.