Foto: Szene aus "Macbeth", ein Tanzabend mit Orchester von Hans Henning Paar in Münster. © Pedro Malinowski
Text:Marieluise Jeitschko, am 16. Oktober 2012
Der Wechsel zu Hans Henning Paars handfestem Tanztheater von Daniel Goldins emotionellen Ausdruckstanz war erwartungsgemäß krass. Mit „Macbeth“ nach Shakespeares Tragödie gab der gebürtige Kasselaner Samstagabend seine Visitenkarte ab. Es ist die dritte Shakespeare-Choreographie des 47-Jährigen, der vorher Ballettchef in seiner Heimatstadt, in Braunschweig und am Staatstheater am Gärtnerplatz München war. Ein vierter Shakespeare wird mit dem „Sommernachtstraum“ folgen, dazu der vertanzte Dickens-Krimi „Das Geheimnis des Edwin Drood“. Das Literaturballett hat also vorerst das Sagen – wenn denn nicht die rigiden Sparauflagen der Stadt eine kontinuierliche Aufbauarbeit der neuen Truppe zu sehr belasten oder ab 2014 gar verhindern.
Auf 14 der im Original 26 Szenen reduziert Paar das blutrünstige Königsdrama. Nur 75 düstere Minuten dauert es im kunstgewerblich abstrakten Ambiente von Anna Siegrot. Schwarze Vorhänge heben und senken sich. Reihen von Hartgummistäben gleiten lautlos vom Schnürboden auf die leere Spielfläche, changieren in bunten Farben. Sie markieren den immer enger werdenden Lebensraum des mörderischen Paares, schließlich den „wandernden Wald“ des Malcolm-Heeres. Heerführer und Soldaten, Königsfamilien und Hofstaat, Kinder und Hunde tragen schwarze Kleidung. Selbst die kurzen Schottenröckchen zu den Schnürstiefeln haben keine farbigen Karos. Accessoires und Requisiten sind spärlich. Die Mörder tragen Schirmmützen, König Duncan ein putziges Alufolie-glänzendes Krönchen um die Stirn, als er zum Besuch in Schloss Inverness auf hohem (Schiedsrichter-)Thron hereingefahren wird. Silbern blitzt das Messer in Macbeth’s Hand. Nur die drei Hexen heben sich ab in ihren wallenden Ballkleidern und zotteligen Rastazöpfen. Wirklich furchteinflößend sind diese „Schicksalsschwestern“ ebenso wenig wie das viele hellrote Theaterblut, mit dem allenthalben hantiert wird.
Cornelius Mickel ist ganz der zaudernde Möchte-gern-König, den Shakespeare bescheiden behaupten lässt: „Will das Schicksal mich als König, nun, mag mich das Schicksal krönen, doch ohne mein Zutun“. Dass er da die Rechnung ohne sein ehrgeiziges Weib gemacht hat, ist hinlänglich bekannt. Die Japanerin Ako Nakamone gibt sich vom ersten Auftritt an als eiskalte Lady Macbeth und lässt alle anderen mit ausdrucksstarker Bühnenpräsenz und exzellenter Tanztechnik weit hinter sich. Als Wahnsinnige allerdings hält sie der Choreograf diskret zurück, um dem Gatten den großen Tod zu gönnen.
Die Personen und Charaktere lassen sich nur schwer unterscheiden, wenn sie kämpfen, morden, Tango tanzen. Viel zu austauschbar ist alles. Viel zu oft wird im Zeitlupentempo getanzt und mit enervierend stereotyper Gleichförmigkeit, so wie auch die vorwiegend minimalistische, motorische Musik von Xenakis bis Glass klingt. Alles wie aus einem Guss, ließe sich folgern. Nur leider blieb das Drama dabei auf der Strecke. Kaum nachzuvollziehen ist Paars aktueller Bezug zur „politischen Landschaft Syriens und Afrikas“ mit den „erschreckenden Bildern von Diktatoren, die auf Kosten ihres Volkes unbeirrt ihre eigenen Ziele verfolgen“. Den Zuschauern, vielfach Shakespeare-gestählt in den Sparten Oper und Schauspiel in der vorigen Saison, schien’s einerlei. Das Premierenpublikum jedenfalls zeigte sich hellauf begeistert. Es feierte das neue Ensemble und auch die Musiker des Sinfonieorchesters unter dem umsichtigen Thorsten Schmid-Kapfenburg demonstrativ.