"Italienische Nacht" oder "Deutscher Tag"? Im Gasthaus Lehninger treffen Sozialdemokraten und Rechtsradikale aufeinander.

Linke Luschies und rechte Radikale

Ödön von Horváth: Italienische Nacht

Theater:Schaubühne am Lehniner Platz, Premiere:23.11.2018Regie:Thomas Ostermeier

Schon die erste Szene in Thomas Ostermeiers Inszenierung bringt die politische Aussage auf den Punkt: Ein Trupp Rechtsradikaler marschiert in schwarzen Kapuzenpullis, mit dunklen Sonnenbrillen und Fackeln in der Hand ums Haus und ruft faschistische Parolen, während die Sozialdemokraten gemütlich in der Gaststube sitzen, Bier trinken und Karten spielen. Die gesetzten Parteimitglieder zucken die Achseln – von akuter Bedrohung könne keine Rede sein, eine Demokratie müsse so etwas aushalten. Gestört werden sie nur vom jungen Querulanten Martin und seiner radikalen Splittergruppe, die zum bewaffneten Widerstand anstacheln. Die einen feige und faul, die anderen fanatisch – mehr hat dieser traurige SPD-Ortsverein irgendwo in der Provinz nicht zu bieten. 

Das klingt insgesamt verdächtig aktuell – ist jedoch der Beginn von Ödön von Horváths hellsichtigem Stück „Italienische Nacht“ aus dem Jahr 1931: Nur zwei Jahre später war die Weimarer Republik Vergangenheit und Hitler begann, das Land zu vernichten. Der überschaubare Plot: Im Gasthaus wollen die Sozialdemokraten an diesem Abend eine „italienische Nacht“ mit Musik und Tanz feiern – die geschäftstüchtige Wirtin, bei Traute Hoess eine polternde Bayerin in Kittelschürze, hat die Stube für den Nachmittag allerdings den Faschisten für ihren „deutschen Tag“ vermietet. Im Anschluss wollen die Rechten zur Waffenübung schreiten.

Das piefige „Gasthaus Lehninger“ wirkt auf der Bühne wie ein Relikt aus den 1970ern. An der grauen Hauswand ein Zigaretten-, innen ein Spielautomat, Holzvertäfelung, Hirschgeweih, Bierbrauwerbung – die naturalistische Nachbildung einer beinahe zeitlosen Provinz-Tristesse (Bühne: Nina Wetzel). Die Textfassung allerdings zeigt schnell, dass der Schaubühnen-Chef selbstverständlich die gegenwärtige politische Situation anprangert. Dem bei Laurenz Laufenberg so arglos wirkenden Faschisten quillt der Rechtspopulisten-Sprech aus dem Mund: Über hirnlose Migrationspolitik wettert er, über eine zerstörte Kultur und eine gefährdete Heimat. Überhaupt hat Ostermeier die politische Bedrohung zugespitzt. Beim „deutschen Tag“ spielt eine Rechtsrock-Band auf und die Arme der Neo-Nazis recken sich zum Hitlergruß. Die Bühne dreht sich – nun ist die italienische Schunkel-Feier im Gang, bei der die bräsigen Linken im Foxtrott übers Parkett zuckeln. In dieser Gegenüberstellung zeigt sich Ostermeiers ganze Wut über eine – aus seiner Sicht – bis in den Abgrund tatenlose Sozialdemokratie.

Doch während Ostermeier den Diskurs der Rechten in die Gegenwart holt, bleiben die Linken im Partykeller-Muff der 1970er Jahre stecken und lassen nicht erkennen, welche „Ideale“ das denn sein könnten, für die sie zu stehen vorgeben. Schon Horváth wurde vorgeworfen, die politische Welt als reine „Narrenbude“ zu zeichnen, „behaust von Schwätzern und Schaumschlägern“ – Politiker-Bashing also, wie es auch heute gängig ist. Ostermeier stellt nun ein seltsames Ungleichgewicht her, indem er die Rechten konkreter, aktueller sprechen lässt – die Linken aber als gestrigen Karnevalsverein abtut. Der SPD-Stadtrat etwa will schlicht in Ruhe feiern, findet dafür aber immer die geeignete politische Ausrede. Hans-Jochen Wagner spielt ihn genussvoll als selbstverliebten Phrasendrescher und herrschsüchtigen Macho. Der junge Marxist Martin markiert bei Sebastian Schwarz ebenso selbstverliebt den großen Anführer – und schickt seine Freundin eiskalt auf den „politischen Strich“, um den Faschisten auszuspionieren, der sie dann im Klohäuschen vergewaltigt. Dem Künstler Karl dagegen wird die politische Karriere stets von den eigenen sexuellen Trieben vermasselt – Christoph Gawenda gibt ihn als harmlos-herzigen Schnuffel.

Auch bei den Frauenfiguren offenbart die hinkende Aktualisierung ihre Tücken: Sind sie bei Horváth deutlich mutiger, aufrechter als die Männer, wirken die Frauen, halb mit der Gegenwart konfrontiert, seltsam rückschrittlich. Martins Freundin Anna, bei Alina Stiegler eine verunsicherte Figur, überzeugt ihn zwar, die eigene Partei auch im Streit nicht im Stich zu lassen, sobald die Rechten anrücken. Doch wie sie sich von ihm instrumentalisieren lässt, um mit dem Faschisten anzubandeln, wirkt nur devot. Und warum Adele, die Frau des Stadtrats, sich vor aller Augen von ihm demütigen lässt, ist nicht mehr einzusehen in einer Zeit, in der Neo-Nazis schon Kapuzenpullis tragen. Ostermeier kann sich nicht recht entscheiden: Einerseits ruft der Faschist die Gauland-Parole „Wir werden sie jagen!“, David Ruland parodiert einen kommunistischen Ossi nach dem Mauerfall – andererseits darf die Frau Stadträtin ohne Ehemann nicht ausgehen und die Linken streiten um den bewaffneten Widerstand mit Kleinkalibern. Von welcher Regierung, welchen Sozialdemokraten sprechen wir überhaupt?

Für eine politische Farce inszeniert Ostermeier nicht schrill genug – für einen ernsthaften politischen Befund ist seine Linke eine allzu läppische Sandkastentruppe. Legitim ist sein Polit-Bashing nur, weil er auch uns, die Demokraten im Publikum, davor warnt, sich zu gemütlich in der Wohlstandsgesellschaft einzurichten. Mit welch bitterer Ironie Ostermeier die linken Luschies gegen die rechten Radikalen schneidet, wirkt bedrohlich, ist pointiert gespielt und soll die reale Linke aufrütteln. Allein: Mit diesen Tröten auf der Bühne ist wirklich kein Staat zu machen.