Foto: Murat Yeginers "Was ihr wollt" am Theater Pforzheim. Fredi Noël (Sir Andrew Leichenwang), Katrin Rehberg (Maria), Mathias Reiter (Malvolio), Holger Teßmann (Narr Feste) und Jens Peter (Sir Toby Rülps), von links © Sabine Haymann
Text:Eckehard Uhlig, am 10. Februar 2014
Der Theatervorhang ist offen und gibt den Blick auf eine grandiose Bühne frei. Ein quer gezogener schwarzer Scherenschnitt teilt den Bühnenraum, die ausgeschnittene überdimensionierte Rosenblüte ist mit ihrer leuchtend roten Rückseite nach vorn geklappt auf dem Bühnenboden ausgelegt und bietet die Spielfläche der Vorderbühne, während die mit grellroten Rosen-Tapeten ausgekleidete Hinterbühne als geheimnisvolles Kabinett die blumige Bildersprache ins Komische umschlagen lässt. „Denn Frauen sind wie Rosen, deren schöne Blüte vergeht“, schwadroniert später Herzog Orsino vielsagend in William Shakespeares Lustspiel „Was ihr wollt“, das am Pforzheimer Stadttheater in einer meisterlichen Inszenierung Murat Yeginers auf dieser Rosen-Bühne (Ausstattung Beate Zoff) Premiere feierte.
Was wollen die Protagonisten, was treibt sie an? Gezeigt werden ziemlich verquere Charaktere, die sich allesamt in Liebestollheiten verzehren und natürlich in der Verwechslungs- und Verkleidungskomödie Liebes-Bruchlandungen hinlegen oder nur auf abenteuerlichen Um- und Abwegen zum Ziel gelangen. Da ist dieser Herzog, Regent des Shakespeare-Traumlandes Illyrien, der sich, von Peter Christoph Scholz brillant gespielt, im naturfarbenen Salonlöwen-Anzug wie „Der große Gatsby“ geriert. Und am Flügel, der auf die Vorderbühne gerollt wird, leitmotivisch mehrfach den Tim Bendzko-Song „Wenn Worte meine Sprache wären“ anstimmt, eine ironisierende Version des Originaltextes „Wenn Musik die Nahrung der Liebe ist“, mit der der Liebeskranke seine Sehnsucht heraustönt, die der unerreichbaren Gräfin Olivia gilt. Die erscheint anfangs abweisend spröde als eine (um ihren verstorbenen Bruder trauernde) verschleierte schwarze Witwe. Später allerdings, wenn endlich der richtige Liebhaber „auftaucht“, agiert sie munter als sonnenblondes Babydoll-Püppchen mit rosig gebauschtem Ballonröckchen, schwarzer Corsage, die ein Hingucker-Dekolle-tee freilegt, und rosarot-schwarzen Plateausohlen-Pumps, in denen herrlich schlanke Beine stecken. Christine Schaller gibt der Kunstfigur, die sich in liebestoller Besessenheit gestikulierend förmlich zerreißt, den gehörigen Drive.
Ihr Liebesobjekt taucht tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes auf und ist ein komplizierter Fall. Denn Viola (Rashidah Aljunied) wird genauso wie ihr zunächst tot geglaubter Zwillingsbruder Sebastian (Timo Beyerling) als Schiffsbrüchige an Illyriens Küste von Kapitän Antonio (Raphaèl Nybl) gerettet, der sich hier als Tiefseetaucher in Szene setzt und die beiden nacheinander aus einem Taucherglocken-ähnlichen Loch an Land zieht: ein Teil des Orchestergrabens wird kurzerhand zur wässrigen „Unterwelt“ der alten Shakespeare-Bühne umfunktioniert. Kompliziert ist Viola, weil sie sich als Mann (Cesario) ausgibt und kleidet, von Orsino als Liebesbote eingesetzt wird, in den sich die Adressatin Olivia total vernarrt, wobei Viola ihrerseits in Liebe zum Herzog entbrennt und hinsichtlich der Gräfin schlussendlich von ihrem geretteten Bruder ersetzt wird. Genauso verwirrend also, wie die an-, aber nie ausgespielten hetero-, bi- und homosexuellen Implikationen.
Da wären noch die knalligeren Charakter-Chargen, ein Komödianten-Quartett par excellence. Jens Peter gibt den am Hofe Olivias schmarotzenden, ewig trunkenen, dickwanstigen Sir Toby Rülps, spricht betont breitspurig verklausuliert und treibt im soignierten, auf einen Krückstock gestützten Humpel-Gang sein Unwesen. Und hat ein unstandesgemäß-unehrenhaftes Verhältnis zur feschen Kammerzofe Maria (Katrin Rehberg), das seiner Verkommenheit Ausdruck verleiht. Sein Begleiter Sir Andrew Leichenwang (Fredi Noel), im Kilt und mit Prinz-Eisenherz-Perücke ausstaffiert wie ein gutmütiger Blödian der Extraklasse, ist trauriges Opfer der Rülps-Rüpel-Scherze. Feste (Holger Teßmann) mimt den Narren mit allerhand Lied- und Kanon-Einlagen.
Musikantisch gewitzt – seine fanfarigen Trompeten-Soli ernten Sonderapplaus – tritt Olivias Hofmeister und Verehrer Malvolio (Mathias Reiter) in Erscheinung. Der Mime schlenkert die Beine und kann, wie die Situation es vermeintlich von ihm verlangt, mal eine arrogante Miene, mal ein köstlich grimassierendes Lächeln aufsetzen. Er ist die tragische Figur des Schauspiels, wird in seinem dünkelhaften Verliebtheitswahn von Rülps und Konsorten bitter hereingelegt, sogar eingesperrt und gefoltert. Theatralischer Höhepunkt ist sein anklagender Schlussmomolog, mit dessen letzten Worten er (auch zu den Zuschauern gewendet) das „ganze Pack“ zum Teufel wünscht.
Weit weg von Slapstick-Derbheiten bereitet das Komödiantische in dieser Aufführung intellektuelles Vergnügen. Mehrfach tritt das Tragikomische sinnfällig verdichtet hervor. Yeginer vertraut der Wirkung von Sprache und Spiel, inszeniert Shakespeare zeitgenössisch locker, ohne den Klassiker zu desavouieren.