Foto: Vincent Wolfsteiner (Tristan) und Lioba Braun (Isolde) am Staatstheater Nürnberg. © Ludwig Olah
Text:Wolf-Dieter Peter, am 22. Oktober 2012
„Oper für Alle“ ist eher nur ein schöner Slogan. Doch diese anspruchsvolle, weil hochkomplexe und deshalb teuere Kunstgattung möglichst vielen zugänglich zu machen: das muss kulturdemokratisches Ziel sein. Neben der außergewöhnlichen Anspannung, Wagners „unmögliches“ Musikdrama mit größtenteils hauseigenen Kräften zu ermöglichen, stellte sich Bayerns viertes Staatstheater zusätzlichen Herausforderungen: in Zusammenarbeit mit _BR-Klassik_ wurde die Premiere nicht nur live im Rundfunk übertragen. Der BR stellte auch den exzellenten 5.1-Ton für die schon mit Bayreuther Live-Übertragungen vertraute TV-Firma _neoxfilm_, und mit einem großen Sponsor-Zuschuss der Firma _DATEV_ wurde die Premiere live in 43 Kinos zwischen Hamburg, Berlin und Wien übertragen. Oper für viele, wenn sie wollen…
Zu hören bekamen alle Premierenbesucher, dass die verstärkte Staatsphilharmonie Nürnberg unter GMD Marcus Bosch Wagners Liebesraserei – 1864 nach 77 Proben von den damaligen Wiener Philharmonikern als „unaufführbar“ abgelehnt – vielfältig gestalten kann. Da türmten sich Blechbläserdrohungen vor der ersten Wiederbegegnung der Liebenden. Nach dem vermeintlichen Todestrank kam das Liebesthema aus dem Nichts und wuchs zum rauschhaften Taumel. Zu Beginn der großen Liebesnacht im zweiten Aufzug rauschten Blätter und Quellwasser in täuschenden Klängen, ehe Tristan und Isolde dann zu den Klangwellen der berühmten „Tristan-Steigerungen“ wie Teenager übereinander herfielen. Wie gut Bosch disponieren kann, zeigte der betörend perfekte Zusammenklang der Orchesterwogen mit den berühmten Warnrufen Brangänes an die weltentrückten Liebenden – wofür Alexandra Petersamer zu Recht den größten Jubelsturm erntete.
Sie überragte damit ein gutes Ensemble, angeführt von dem gewollt „jugendlich unbedarft zupackenden“ Waffengesellen Kurwenal Jochen Kupfers bis zu Guido Jentjens solidem König Marke. Intendant Peter Theiler griff zu – und hat nun in Vincent Wolfsteiner einen ansehnlichen Tenor im Ensemble, der – nach nur einem Strich im Liebesduett – den dritten Aufzug mit seinen stimmmörderischen Schmerz-Wahn-Fluch-Verzweiflungsausbrüchen beeindruckend bewältigte, ein paar wegbrechende Töne mögen der kleinen Erkältung und der Premierenanspannung geschuldet sein. Die frühere Mezzosopranistin Lioba Braun, bislang eine Brangäne von Opern-Weltrang, wählte Nürnberg, um nach einer Babypause und veränderter Stimmlage nun ihre erste Isolde zu wagen. Sie bringt die ganze Wärme und Rundung der Mezzo-Lage in die Sopranpartie mit – eine anrührend Liebende. Doch für Isoldes hochdramatische Ausbrüche, die Todesflüche und Verwünschungen, für die Höhepunkte der Ekstase und den Liebestod fehlen ihren Spitzentönen das lodernde Leuchten oder der blanke Stahl – noch?
In Nürnberg eine Frau als „Tristan“–Regisseurin: Monique Wagemakers überzeugte mit viel psychologisch fundiertem Realismus in den ersten beiden Aufzügen. Auch die schwer gestaltbaren 50 Minuten von Tristans finalem Liebes- und Todeswahn gelangen – doch dann Stil-Wirrwarr: banaler Schwertkampf-Aktionismus beim Eintreffen von Marke, Brangäne und Isolde – dann Zurücktreten dieser Figuren – und zu Isoldes Liebestod-Entrückung erhebt sich Tristan, tritt, sie umarmend, hinter Isolde – und so verlöschen Licht und Musik – surreal? symbolistisch? Dabei hatte Bühnenbildner Dirk Becker visuell beeindruckend, ja „Wieland-Wagner-nah“ begonnen: schwarzer Bühnenraum, ein heller, ovaler Rahmen, dahinter drei spiralnebelartige Ringe als Spielscheibe mit drei eben solchen Ringe als Decke, im Hintergrund ein Lichtbalken – Milchstraßen-Galaktik oder Horizont. Dazu Gabriele Heimanns Kostümmischung aus asiatischem und „Krieg der Sterne“-Touch – ein Hauch von passender Science Fiction. Doch Wagemakers hielt diese „Welt-Entrückung“ eben leider nicht durch, auch Beckers Ring-Brüche am Ende samt verstreuter Lava waren verzichtbar. So blieb es bei der Überwältigung durch Wagners singulär rauschhafte Musik.