Foto: Eduard Lind, Ali Aykar, Ron Iaymu, Felicia Chin-Malenski, Natalie Hanslik in „Liebe Kitty“ © David Baltzer
Text:Detlev Baur, am 13. November 2020
Die Rechtefrage um „Das Tagebuch der Anne Frank“ ist umstritten. Unstrittig ist, dass die Aufzeichnungen der Teenagerin, die sich mit ihrer Familie jahrelang – und am Ende erfolglos – vor den deutschen Gestapo-Killern in Amsterdam versteckte, sowohl zeitgeschichtlich als auch literarisch von hohem Rang ist. Anne Frank ist die wohl bekannteste Verkörperung vom Leiden unter der wahnwitzigen Judenverfolgung im „Dritten Reich“ und sie steht für die Macht der Kultur als Widerstandskraft. Gleichzeitig beschreiben die Aufzeichnungen der anfangs 13-Jährigen Orientierungsprobleme einer Heranwachsenden und die derzeit aktuelle Grundsituation eines Lebens in Isolation.
Die Inszenierung „Liebe Kitty“ des Jungen Schauspielhauses Düsseldorf feierte gestern in leerem Theater Zoom-Premiere. Jan Gehlers anderthalbstündige Inszenierung deutet mit einem Holzboden und einigen Stühlen einen öden Raum an (Bühne: Ansgar Prüwer). Die fünf Darstellerinnen und Darsteller (Ali Aykar, Felicia Chin-Malenski, Natalie Hanslik, Ron Iyamu, Eduard Lind) tauschen, auch mit Hilfe wechselnder Sitzgelegenheiten, die Rollen innerhalb der beiden Familien, die zum eigenen Schutz gefangen sind. Trotz Erkrankung einer weiteren Schauspielerin gelingt so ein inhaltlich und rhythmisch schlüssiges Spiel. Für Kinder und Heranwachsende entsteht dabei eine ausgewogene szenische Mischung aus Pubertätsthemen, Umgang mit einer extremen Lockdownsituation und der unsäglichen Judenvernichtung ¬ für rein erwachsenes Publikum wäre das in seiner Ausgewogenheit etwas zu wenig an Konzentration auf die Abgründe der Situation gewesen. Die imaginäre Freundin Kitty wird von drei verschiedenen Annes ganz vorne an der Bühne in die Kamera hinein angesprochen; der Kontakt zur Phantasie wie hinaus in die Bildschirme der Welt scheint greifbar.
Mit dem unaufgeregten Spiel gelingt es der Inszenierung, junges Publikum anzusprechen, wenn es sich denn vor dem Bildschirm niederlässt. Kleine Textwackler in dieser Premiere einer theatralen Dürrezeit wirkten bei der zur cleanen Ästhetik neigenden Streamingvermittlung keineswegs als Verlust. Die kurze Einleitung durch den Dramaturgen und das anschließende Gespräch der Beteiligten rundeten das digitale Theatererlebnis ab. Diese „Liebe Kitty“ ist bei allem Verlust von Live-Theater ein gewinnbringendes Spiel um Würde bei ganz großen Verlusten von Freiheit, Menschlichkeit und Leben.