Das Bühnensetting ist einfach wie phantasievoll gehalten (Ausstattung Stefan Rieckhoff): Der bühnengroße Vorhang zeigt das Gemälde eines Schaufelraddampfers auf dem Mississippi, kleine Inseln und begrünte Ufer – vor dieser Idylle ziehen gelegentlich Pappelemente über die Bühne: ein Schiff oder der Zaun, den Tom als Strafarbeit für Tante Polly streichen muss (oder besser: streichen lässt).
Der Kinderchor als eigentlicher Star
In seinem Holzfass erwachend, lobt Huck Finn das Nichtstun (zum Verlieben als Außenseiter-Lausejunge: Musical-Darsteller Michael Heller), während Tante Polly wie üblich ihren Tom Sawyer sucht. Tenorbariton Tom Schimon gibt die Titelrolle mit hochgradig ansteckender Spielfreude, famoser Textverständlichkeit und einem (trotz Microport-Verstärkung) nie ins Kitschige oder Angestrengte abdriftendem Stimmklang. Dieses Musical-Gast-Duo wird überwiegend aus dem Opernstudio und Ensemble des Hauses ergänzt: Nikita Voronchenko (mit wohligem Bariton als nimmersatter Ben Harper), Josefine Mindus (Toms Geliebte Becky Thatcher), Elisabeth Wrede (Amy Lawrence), Carsten Sabrowski als der zu Unrecht angeklagte Säufer Muff Potter, Christoph Späth (gruselig: Killer-Joe) und der ewige Streber des Dorfes Alfred Temple (herrlich eitel: Ferdinand Keller). So geht der bekannte Plot seinen Gang, während der Lehrer als verkappter Literat („Nur wer schreibt, der bleibt!“, köstlich: Theo Rüster) am Versuch scheitert, Tom und Huck den Sinn fürs Lernen beizubringen. Erst recht nicht, wenn die erste Liebe dazwischenfunkt oder der Reiz von Angeln am Fluss statt Pauken… Bei all dem agiert der Kinderchor als eigentlicher Star des Abends, als Schulkinder, Dorfgemeinschaft, in großen Chören – präzise einstudiert von der Leiterin des Kinderchores Dagmar Fiebach, die als Retterin der Premiere gelten kann.
Eine gerettete Premiere
Fast nämlich wäre diese ins Wasser gefallen, weil die Polly-Darstellerin Caren van Oijen erkrankt war. So gab es spontan eine dreigeteilte Polly, für die van Oijen stumm auf der Bühne agierte, die Dialoge von der Souffleuse eingesprochen wurden und Dagmar Fiebach die Songs sang. Gemerkt hat man‘s kaum!
Songspiel oder Kinderoper – eine Gattungsgrenze braucht es gar nicht in Anbetracht der temporeich ineinanderfließenden Szenen, bei denen viel Bekanntes aus der „Dreigroschenoper“ oder „Mahagonny“ anklingt. Kurt Weills finales Lebensprojekt mit dem Stoff war die Schaffung einer amerikanischen Volksoper. Nun ist „Tom Sawyer“ als deutsche Kinderoper vollendet worden, für ein Publikum aller Altersgruppen, dessen Jubel am Premierenabend kaum zu bremsen war.