Foto: Vasilisa Berzhanskaya und Ensemble im Basler Barbier © Priska Ketterer
Text:Georg Rudiger, am 18. Oktober 2019
Kirill Serebrennikov ist nicht da. Statt des russischen Regisseurs kommt im Theater Basel am Ende des vom Publikum gefeierten „Barbiers von Sevilla“ seine Assistentin Julia Huebner auf die Bühne, die die Neueinstudierung dieser drei Jahre alten Produktion der Komischen Oper Berlin betreute. Serebrennikov ist nur auf einem Foto zu sehen. Der im August 2017 gegen ihn verhängte Hausarrest wurde zwar im April dieses Jahres aufgehoben. Seinen Reisepass hat er aber nicht wieder erhalten. Huebner musste deshalb die Proben in Basel auf Video aufnehmen lassen und mit ihm besprechen, um seine kluge, komplexe und doch auch wunderbar leichte Inszenierung in Basel neu erstehen zu lassen. Dass es in der Inszenierung selbst dabei auch um das Spannungsfeld zwischen digitaler Kommunikation und echten Gefühlen, zwischen inszenierter Wirklichkeit und fehlender Nähe geht, verleiht dem herausragenden Musiktheaterabend noch eine besondere Note.
Zu Beginn sitzt das Sinfonieorchester Basel auf der Bühne und spielt sich ein. Statt Konzertkleidung trägt man Pulli oder T-Shirt. Zwei Typen, die sich später als Fiorello und Graf Almaviva herausstellen, lungern gelangweilt herum. Auch Dirigent David Parry steht zunächst unbeholfen am Hammerklavier, ehe er dann noch den Stab hebt, die Ouvertüre von Rossinis bekanntester Oper beginnen lässt und sie auch mit schönen dynamischen Steigerungen und rhythmischer Präzision zu Ende bringt. Almaviva hat sich in eine schöne Unbekannte verliebt. Ihr Facebook-Profil, das auf die Bühne projiziert wird, hat er aber schon entdeckt: 186 Freunde – und viele Fotos, auf denen sie sich die Wimpern tuscht. Bei Almaviva steht unter Beziehungsstatus: kompliziert. Es kann also losgehen mit der digitalen Kontaktaufnahme. Dafür ist Figaro zuständig, der, mit Handkamera gefilmt, vom hinteren Parkett aus für sein „Largo al factotum“ die Szenerie betritt. Gurgen Baveyan ist mehr schillernder Modezar als gewöhnlicher Barbier. Der armenische Bariton entfaltet mit jeder Phrase und jeder Geste große Präsenz. Enorm tragfähig, aber doch sehr beweglich ist seine Stimme – auch darstellerisch ist dieser Figaro, dem drei assistierende, mitunter auch tanzende Figaro-Doubles zugeordnet sind, eine Wucht. Für Almavivas Schmacht-Cavatine „Se il mio nome saper vol bramate“ engagiert er einen langhaarigen E-Gitarristen (cool: Jan Fitschen). Der harte Stromgitarrensound verträgt sich gut mit Kents leichtgängigen Koloraturen. Und da der Australier dazu auch gekonnt vor der Kamera posiert, macht das Video von seinem Auftritt, das Rosina auf dem Smartphone verfolgt, großen Eindruck.
Ihr geht es nämlich nicht gut beim Oheim Bartolo. „Leb hier mit dem totalen Tyrannen“, schreibt sie Almaviva im Chat. Bartolo (schön spießig: Andrew Murphy) ist Antiquitätenhändler und gänzlich analog unterwegs. In der von Vasilisa Berzhanskaya mit satter Tiefe und perfekt modellierten Verzierungen versehenen Cavatina „Una voce poco fa“ möchte diese Rosina ihn am liebsten hinter seinem Rücken erstechen, während er seine von Berta (tragikomisch: Kali Hardwick) servierte Suppe löffelt. Serebrennikov hält das Tempo hoch und variiert in jeder Szene diese ganz auf Wirkung getrimmte Facebook-Welt. Die Arie „La calunnia è un venticello“ (Die Verleumdung, sie ist ein Lüftchen) von Basilio (Antoin Herrera-Lopez Kessel) kombiniert er mit Flüchtlingsbildern auf dem Fernseher. Und sorgt an diesem leichtgängigen Abend auch für verstörende Momente, wenn er zum musikalisch durchgeknallten, hocherhitzten Finale des ersten Aktes die Choristen mit blutiger Schürze oder schwarzer Krone auftreten lässt (Chorleitung: Michael Clark). Dirigent David Parry, der die Rezitative selbst ganz inspiriert am Hammerflügel begleitet, wählt flotte Tempi, von denen sich das in Zivil gekleidete Sinfonieorchester Basel nicht aus der Kurve tragen lässt. Aber auch die wenigen Ruhepunkte gelingen dem Briten mit großer Sensibilität. Am Ende kommen Almaviva und Rosina doch analog zusammen, nachdem ihnen Figaro die Handys weggenommen hat. Aber die echten Gefühle werden doch wieder im Glamour erstickt. Und Bartolo dreht im Hintergrund eine verstimmte Kirmesorgel.