Foto: Wilde Piratin: Giuseppina Piunti in der Titelpartie. © Rolf K. Wegst
Text:Wilhelm Roth, am 4. Februar 2013
Antonio Carlos Gomez (1836 – 1896) gilt als der wichtigste brasilianische Komponist des 19. Jahrhunderts, aber auch die Italiener können ihn für sich reklamieren. Er lebte von 1864 bis kurz vor seinem Tod mit wenigen Unterbrechungen in Italien. Dort hat er zunächst noch studiert, dort entstanden dann seine wichtigsten Opern, meist an der Scala uraufgeführt. Musikalisch erinnern sie an den frühen Verdi. Seinen künstlerischen Durchbruch hatte er 1870 mit „Il Guarany“. Inzwischen ist er, außer in Brasilien, in Vergessenheit geraten. Im Internet findet man trotzdem viel über ihn.
Die Theater in Deutschland haben Gomez nie zur Kenntnis genommen, erst in jüngster Zeit pirschen sie sich langsam an ihn heran. Den Anfang machte 1994 Bonn mit „Il Guarany“, 2010 spielte Braunschweig „Salvator Rosa“ und 2012 gab es „Lo Schiavo“ (Der Sklave) in Gießen. Im entdeckungsfreudigen Stadttheater Gießen hatte nun auch „Fosca“ ihre deutsche Erstaufführung, 140 Jahre nach der Uraufführung an der Scala.
Für „Fosca“ konnte Gomez nach längerem Suchen Antonio Ghislanzoni als Librettisten gewinnen, der für Verdi „Aida“ geschrieben hatte. Trotzdem ist das verworrene Libretto der Schwachpunkt des Werks. Die Handlung spielt in Venedig und dem Piratennest Pirano. Fosca ist die Schwester des Anführers der Piraten, sie liebt den Venezianer Paolo, den die Piraten entführt haben, um Lösegeld zu erpressen. Ihre Liebe wird nicht erwidert, sie ist wütend. Paolo liebt die Venezianerin Delia, die er nach seiner Freilassung heiraten will. Was folgt sind dramatische Auseinandersetzungen zwischen den Piraten und Venezianern, in ihrer unerfüllten Liebessehnsucht erlitten von Fosca und mit gesteuert von Cambro, einem Intriganten und Drahtzieher.
Der Regisseur Thomas Oliver Niehaus aber hat in dieser Geschichte ein Thema, ein Zentrum entdeckt: den Wahnsinn der Liebe. Allerdings dauert es eine gewisse Zeit, bis auch der Zuschauer diesen Kern der Inszenierung entdeckt. Zuerst ist auch er verwirrt: Fern jedes Realismus’ zeigt die Bühne (Lukas Noll) einen schwarzen Kasten, der sich nach hinten verengt, beleuchtet nur von weißen Neonröhren, die auf eine kleine Tür am Ende der Bühne zulaufen, über der manchmal der Satz aufleuchtet „And I said I love You!“. Fosca tritt als Rockerbraut in schwarzer Lederkluft auf, ein Messer im Stiefel. Alle Piraten sind dunkel bis schwarz gekleidet, alle Venezianer weiß, Cambro hat einen orangefarbenen Haarschopf. Fosca wird oft von einer jungen Frau begleitet, einer stummen Rolle, die der Regisseur erfunden hat, Name laut Programm: „What I am“. Sie nähert sich später zutraulich auch der Rivalin Delia.
So weit, so merkwürdig. Packend wird es von dem Augenblick an, als Fosca ihrem Bruder, der sie wegen ihres Liebeswahns verrückt nennt, entgegenschleudert: „Ira, dolor, amore, tutto è follia“ („Zorn, Schmerz Liebe, alles ist Wahnsinn“). Die Handlung, das wird einem nun bewusst, ist nur Folie für dieses Thema: Was ist die Liebe? Und die Musik bestätigt das. All das Hin und Her zwischen Piraten und Venezianern bleibt konventionell, auch in den großen Chorszenen. Foscas Auftritte aber sind voller Dramatik, auch im Orchester, wo manchmal Melodiebögen fast zerreißen. Fosca will herrschen, sich das Liebesobjekt unterwerfen, ihr Verhalten grenzt an Hysterie. Giuseppina Piunti, oft in Gießen zu Gast, gestaltet die Rolle darstellerisch und musikalisch außerordentlich intensiv. Die Spannung steigert sich noch, wenn Delia auftritt. Maria Chulkowa ist mit ihrem lyrischen Sopran, in ihrer hingebungsvollen Art, das genaue Gegenteil zu Fosca. Die Männer haben es zwischen diesen Frauen nicht leicht: Paolo (Thomas Piffka) überzeugt mit einer schönen Tenorstimme, kann aber seiner blassen Rolle wenig abgewinnen, während Cambro (Adrian Gans) als böser Clown stimmlich und schauspielerisch brilliert. Zuverlässig das Orchester, geleitet von Florian Ziemen, neu in Gießen in dieser Spielzeit. .
Insgesamt: Kein großer, aber ein interessanter Abend. Warum allerdings am Ende eine Horde von Fans mit Autogrammbüchern über Fosca herfällt, die sich mit Gift umgebracht hat, ist eines der Rätsel dieser Inszenierung.