Ensemble von Glossy Pains „Bock“ am Theater an der Ruhr

Wie geht Liebe?

Glossy Pain: Bock

Theater:Theater an der Ruhr, Premiere:24.08.2024 (UA)Vorlage:BockAutor(in) der Vorlage:Katja LewinaRegie:Katharina Stoll

Die zweite Premiere unter dem Spielzeit-Motto „Geheimnis“ am Theater an der Ruhr ist die Uraufführung von „Bock“ des Theaterkollektivs Glossy Pain. Das Stück bricht mit Tabus über Männlichkeits- und Körperbilder und liefert inputreiche Unterhaltung.

Sonnenaufgang über einer von und für Männer gemachten Erde, über der Evolution von Männlichkeit. Zu Richard Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“ (ab Minute 1) in Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“ reitet ein Cowboy auf der Bildschirmrückwand der Bühne auf das Publikum zu. „Brokeback Mountain“ lässt grüßen, Greta Gerwigs Film „Barbie“ mit einer der „Space Odyssey“-Referenzen in der Eröffnungsszene auch.

„BOCK“ erstrahlt in riesigen Lettern der Titel des neuen Stücks des Theaterkollektivs Glossy Pain nach dem gleichnamigen Buch von Katja Lewina. Joshua Zilinske, der Cowboy, tritt auf die Bühne vor ein rosa Planschbecken. Er blickt hoch, wird sich des Publikums bewusst, fängt langsam an, sich zu entkleiden. Gespielt in Verlegenheit, aber es ist ja sein Körper, der des jungen, „gesunden“ Mannes, der die Norm in unserer Gesellschaft zeichnet und auf den alle Bock haben sollen.

Das Theater an der Ruhr bringt anstatt alleinstehender Premieren seit der letzten Saison drei „Spielzeitinseln“ als kleine Festivals. Premieren werden in Workshops, Performances und Ausstellungen eingebettet, das alles unter einem Überthema, dieses Mal „Geheimnis“. Mit Sophokles‘ „Ödipus“ (lesen Sie hier die ganze Kritik) in einer Fassung von Roland Schimmelpfennig startete erfolgreich die erste Insel dieser Spielzeit. In der zweiten Inselpremiere „Bock“ dreht sich alles um das Geheimnis von Sexualität und Liebe.

Scham und Körper

Wir würden damit aufwachsen, dass Sex etwas dreckiges ist, referiert Marie Schulte-Werning, während Joshua Zilinske hinten im Planschbecken in reiner Männlichkeit geboren wird. Niemand spreche von jeglichen austretenden Körpersäften, die mit Sex einhergehen. Außerdem werden Körper gemacht: Manche wollten sein wie Pamela Anderson, manche wie Jean-Claude Van Damme. Als harter Pumper hängt Zilinske sogleich an der isotonischen Riesenbabyflasche.

Schon im Programmflyer wird angekündigt „Mit Zitaten von…“, worauf eine Liste von Schauspieler und Komiker Steve Carell, Journalist und Regisseur Tobias Ginsburg (Die letzten Männer des Westens), Hochschullehrerin und Autorin bell hooks, Comiczeichnerin Liv Strömquist, aber zum Beispiel auch dem selbstinszenierten Sexcoach Mitchell Tepper folgt. Der Stücktext ist ein Auffangbecken von aktuellen Männlichkeits- und Körperbildern.

Ein buntes Bühnenbild und knallige Kostüme (Wicke Naujoks) zeichnen unsere heile Welt der Offen- und Aufgeschlossenheit mit einem Augenzwinkern. Leonard Grobien zeigt Zilinske, wie Jelqing geht, eine Massage zur natürlichen Penisvergrößerung – aber: „No Homo!“. Dann steht Zilinske wie Botticellis Venus da. Irgendwie sieht das doch alles ziemlich schambehaftet aus. Klaus Herzog spricht vom Älterwerden, wenn der auf Leistung trainierte Körper plötzlich nicht mehr kann und Leonard Grobien von Sex als Mensch mit Behinderung.

It’s all about sex, über Verhaltens- und Körperbilder. Aber wie geht Liebe? Dieses Geheimnis will und kann die Inszenierung nicht lösen. Glossy Pains „Bock“ ist sehr inputreich, fordert das Publikum, bricht mit Tabus und macht gleichzeitig viel Spaß. Neben vielem anderen bleibt bell hooks‘ Definiton von „love“ als einem Verb, dass viel zu oft als Nomen verstanden werde. Ergo: Lieben sei etwas, das wir aktiv tun (lernen sollten), nicht etwas, das uns einfach so passiert.