Foto: Der Diktator (Bjarni Thor Kristinsson, oben) und seine Uniformen (Choristen der Kölner Oper) © Paul Leclaire/Oper Köln
Text:Andreas Falentin, am 13. Oktober 2019
Die Voraussetzungen für einen tollen Musiktheaterabend waren selten so groß. Ein großartiges Stück mit zündenden Melodien und satirischem Witz, der nicht alt geworden ist. Und es wurde noch nie in Deutschland gezeigt. Weil es nach der erfolgreichen Premiere 1860 in Paris einfach irgendwie – verschwunden ist. Wie gut passt die Geschichte über die Stadt im Orient, die sich stets zügig ihrer ihr vom Großmogul aufgedrückten Gouverneure entledigt, gerade in die Karnevalsmetropole Köln! Zumal, wenn jener Mogul einen Hund zum Gouverneur ernennt, um die Stadt zu strafen und dieser dann zum beliebten Herrscher wird! Was erzählt wird mit wunderbarem Personal: einem korrupten Polit-Karrieristen samt servilem Eunuch und häßlicher Tochter und zwei Liebespaare mit sympathischen, lebensklugen Damen und jämmerlichen, lächerlichen Kerlen, die aber die spannendste und schönste Musik des Abends zu singen haben.
Dazu kommt ein Gürzenich-Orchester in bester Spiellaune unter Stefan Soltesz, der es schafft das unbekannte Stück transparent und dynamisch zu dirigieren, der federnd flotte Tempi bevorzugt und ein Meer an Klangfarben ausgießt. Da darf die Trompete blöken, die Oboe krächzen, dürfen die Kontrabässe nach Herzenslust brummen und alles zusammen ergibt wirklich ein Stück. Dazu ist es der Oper Köln gelungen, ein Ensemble zusammenzustellen (mit vier tragenden Tenorrollen!), was nicht nur den durchaus komplexen musikalischen Anforderungen mühelos gewachsen ist, sonder auch über Spielfreude, Dialogkompetenz und Timingsicherheit verfügt. Und die Tontechnik des Hauses bekommt es in Zusammenarbeit mit dem Dirigenten hin, dass im akustisch problematischen Staatenhaus 2 sogar die Klangbalance in den Ensembles stimmt.
Dennoch ist es leider kein toller Musiktheaterabend geworden. Mariame Clément und ihre Ausstatterin Julia Hansen machen Oper, nicht Offenbach. Im Programmheft schreibt die Regisseurin: „Wir haben uns also eine Art geografisch und historisch undefiniertes Regime vorgestellt, mit Personenkult, offiziellen Zeremonien, Einheitspartei und dem unvermeidlichen medaillenbehängten Diktator.“ In diesem Zitat liegt die ganze Misere. Offenbach hat für seine großen Stücke stets bewusst exotische Milieus gewählt, sei es die Mythen- und Märchenwelt oder die deutsche Kleinstaaterei. Aus dieser Distanz hat er stets auf sein aktuelles Paris geschaut, also die französische Gesellschaft seiner Jetzt-Zeit auf der Bühne gestaltet, satirisch unterhöhlt und überhöht. Wenn dieser Witz, der der Aktualität und der genauen Beobachtung entspringt, nicht bis zu uns gerettet werden kann, wenn also etwa mit „Barkouf“ ein heutiges Publikum nicht mehr direkt angesprochen werden kann, bleibt höchstens das Museum.
„Gebt mir einen festen Punkt in der Luft und ich hebe die Welt aus ihren Angeln“, soll der antike Ingenieur Archimedes gesagt haben. Clement sucht diesen Punkt nicht und begnügt sich mit dem luftleeren Raum. Julia Hansen hat im ersten Akt eine Art Aula oder Parlament hingesetzt, in dem sich etwas ereignet, was Lieschen oder Hänschen Müller vielleicht für einen Diktatoren-Auftritt hält. Und ja, die Damen tragen Einheitskleidung mit Schlips und die Herren genau die Uniformen, die in viertklassigen Filmen und zweitklassigen Opern-Inszenierungen seit etwa 20 Jahren dem Zuschauer erklären, dass er einer Diktatur zusieht. Dass das Setting bei Offenbach ein Markt ist, ein sinnlich geschäftiges Gesellschaftspanorama, sei nur am Rande erwähnt.
Ab dem zweiten Akt sind wir ein einem monströsen Archiv mit verfaulenden Akten, in dessen Zentrum eine Baumarkt-Kingsize-Hundehütte steht, die im dritten Akt weiter gewachsen ist und die hier Titel gebende Inschrift trägt. In diesem gesellschaftlich nicht definierten, unhomogenen, so weit wie möglich von der Lebenswelt des Publikums fortgerückten Setting wird die Satire fast zwangsläufig zum Schenkelklatscher. da gibt es Witze über Köln und Düsseldorf, Verschwörer tragen Masken von Trump, Erdogan und den anderen und der großartige, großartig singende Matthias Klink muss Hündchen spielen und am Stuhl das Bein heben. Das Paradox des machtgeilen Politikers, der die Macht nicht ergreifen kann, weil er nicht über das System hinausdenken kann, dem er angehört, dieses Paradox darf er nicht spielend erforschen. Er darf nur seine Uniform zappelnd spazieren führen. Und dann tritt auch noch das Hündchen auf, ein echtes, mit Krone und Hermelin, was bei Offenbach natürlich nicht geschieht, denn er wollte Satire und Eleganz, nicht Opernniedlichkeit und Klamauk.
Der übrigens im Einzelnen handwerklich sehr gut gemacht ist. Das swingende Couplet des Großmoguls (knarzig, beweglich, wirklich witzig: Bjarni Thor Kristinsson) ist durchaus hinreißend gebaut, viele Details der Personenführung sind aus der Musik entwickelt. Aber dann geschehen wieder Sachen wie im episch monströsen Finale des zweiten Aktes, wo sich Martin Koch als Eunuch gefühlt stundenlang im Kreis wiegen und aus einer billigen und häßlichen Schüssel Rosenblätter streuen muss, obwohl die Musik ständig vorwärts dringt. Und natürlich finden alle diese Gag- und Bildebenen nicht zusammen, sondern lassen nur die Leere in dieses wundervolle Stück hinein. Dass zusätzlich noch die durch die Tatsache. dass das Stück mit der Opéra national du Rhin koproduziert wurde, zu erklärenden Anspielungen auf die französische Geschichte beim Kölner Publikum sozusagen planmäßig ins Leere laufen, fällt da schon gar nicht mehr ins Gewicht.
Diese „Satire“ hat einfach gar nichts mit uns zu tun. Wir sehen in den Spiegel und sehen Nebel. Was bleibt, ist die Musik. Das spritzige Orchester. Der umwerfend schöne Tenor von Patrick Kabongo. Susanne Elmark, ein Weltklasse-Koloratursopran, fast immer wortverständlich mit großer Musikalität. herrlich, wie spielerisch sie mit ihren Tönen umgeht, ob allein, im Ensemble oder im Zusammenklang mit der herrlich locker gestaltenden Mezzosopranistin Judith Thielsen. Da ist Offenbach!