Körperlinienführung

Uwe Scholz: Scholz Symphonien

Theater:Oper Leipzig, Premiere:06.12.2024Musikalische Leitung:Matthias Foremny Komponist(in):Ludwig van Beethoven / Robert Schumann

Das Leipziger Ballett zeigt anlässlich des 20. Todestages von Uwe Scholz mit „Scholz Symphonien“ zwei seiner Werke: Während seine Interpretation von Beethovens „Siebente Symphonie“ in der schnellen Linienführung großer Ensemble-Szenen atemlos macht, ist die Choreografie zu Robert Schumanns „Zweite Symphonie“ kleinteiliger und intimer. Frenetische Jubelstürme beweisen am Ende, wie wichtig es ist, diese neoklassischen Werke am Leben zu halten.

Viel zu früh – mit nur 45 Jahren – verstarb Uwe Scholz als Ballettdirektor und Chefchoreograf der Oper Leipzig. Bedenkt man, welch riesiges Repertoire von über 100 Balletten er da weltweit bereits geschaffen hatte, welche musikalische Bandbreite von der Renaissance bis in die Gegenwart er seinen Tänzerinnen und Tänzern immer wieder auf den Leib choreografierte – und hat man ferner vor Augen, wie aktiv etwa John Neumeier mit 85 Jahren noch als Tanzschöpfer ist –, dann sieht man: Das Schicksal ist unfassbar ungerecht.

Anlässlich des 20. Todestages von Uwe Scholz, der 1991 in Leipzig eine der größten deutschen Ballettkompanien übernommen hatte, ist nun eine Neuzusammenstellung zweier seiner neoklassischen Ballette zu erleben: Choreografien zur Musik von Beethovens „Siebente Symphonie“ (fürs Stuttgarter Ballett entstanden) und zu Robert Schumanns „Zweite Symphonie“ aus seiner Zeit als Zürcher Ballettdirektor.

Beethoven: „Siebente Symphonie“ (UA 1991)

Scholz war wie viele seines Metiers ein Gesamtkunstwerker, der neben der Choreografie gern auch Bühne, Licht und Kostüme selbst verantwortete. Konsequent nutzt er in Beethovens „Siebenter“ nur ein optisches Element: die Linie. Bunte Linien auf halbrunden Hängern im Hintergrund – angelehnt an eine herabfließende Farbtechnik des amerikanischen Künstlers Morris Louis – und einzelne, verschiedenfarbige Linien auf den weißen Bodys der Tänzerinnen und Tänzer. Linien, die sich fortsetzen in Schrittfolgen, überstreckten Hebungen und Ensemble-Formationen als einzigartige Übersetzung von Tonfolgen in Bewegungsmuster. Wie eng Scholz aus der Partitur heraus choreografiert hat, ist hier unverkennbar.

Erster Teil des Abends: Beethovens „Siebente Symphonie“. Foto: Ida Zenna

Die 38-köpfige Leipziger Ballettkompanie präsentiert sich in Höchstform, scheint unter dem neuen Direktor Rémy Fichet sichtlich zusammengewachsen. Der Franzose tanzte bis 2008 selbst am Haus, war zuletzt künstlerischer Produktionsleiter. Zwei symphonische Werke an einem Abend zu zeigen, in denen die Damen größtenteils auf Spitze tanzen, ist eine irre konditionelle Herausforderung, die die Kompagnie bravourös meistert.

Schon der I. Satz startet mit synchronen Hebungen und kraftvollen Spagatsprüngen, mit denen die Herren sekundenschnell die Bühne queren. Musikalische Motive werden tänzerisch aufgegriffen und wiederholt, so dass ein temporeiches Wechselspiel aus Solo- und Ensembleszenen entsteht. Wenn im berühmten Allegretto des II. Satzes Lähmung sich auflöst in einer unmerklich vom Boden zum Knie sich hochschiebenden Fußspitze, wird die Anspannung auch im Publikum spürbar. Fast plakativ für heutige Sehgewohnheiten setzt die Lichtregie Akzente: ein großer Lichtkegel etwa im III. Satz, um den vier Paare sich händehaltend formieren (Licht: Michael Röger).

Erster Teil: Beethovens „Siebente Symphonie“. Foto: Ida Zenna

Schumann: „Zweite Symphonie“ (UA 1990)

Die Damen in kurzen, die Herren in langen blauen Trikots: Nach der Pause offenbart sich in Schumanns „Zweiter Symphonie“ die große Bandbreite choreografischer Finesse von Uwe Scholz: In humoristischen Szenen, wenn drei Tänzerinnen eine Parodie auf die klassischen Ballettschrittfolgen absolvieren und Pirouetten auf flachen Fußsohlen statt auf Spitze geben. Oder im unerträglich schönen Adagio des III. Satzes, wo der Einfluss Bachscher Kontrapunktik durchklingt, die zwei Paare im Pas de deux aufnehmen und drehend sich endlos ineinander verschränken.

In beiden Teilen führt Matthias Foremny das (bei den Holzbläsern nicht gerade in Höchstform aufspielende) Gewandhausorchester mit großem dynamischem Feingefühl – bis Jubelstürme ausbrechen, noch ehe der Vorhang geschlossen ist. Ein Abend nicht nur gegen das Vergessen der Werke von Uwe Scholz, sondern auch empfohlen all jenen, die nicht wussten, wie sinfonisches Ballett Zeit und Raum überwinden kann.

Anmerkung: Im Foyer der Oper Leipzig zeigt die Ausstellung „Die Kunst des Sehens – Uwe Scholz’ Leipziger Zeit“ Szenenbilder von Andreas H Birkigt. Auf den Fotos sind unter anderem der ehemalige Ballettdirektor Mario Schröder in „Coppelia“ (1992) sowie sein Nachfolger Rémy Fichet in „Notizen“ (2004) als Tänzer zu sehen.