Szene aus "Amadis, der Ritter"

Zwischen Mittelalter und Internet-Kultur

Johann Christian Bach: Amadis, der Ritter

Theater:Oper Leipzig, Premiere:21.09.2024Regie:Antje ThomsMusikalische Leitung:Andreas Reize

In Leipzig, der wichtigsten Wirkungsstätte von Johann Sebastian Bach, wurde die späte Oper „Amadis“ des Sohns Johann Christian Bach ausgegraben und im Opernhaus als Familientheater inszeniert. Dabei stehen sich unterschiedliche Ansprüche im Weg.

Ein kurzer Blick auf die Handlung: Arcalaus hat den König Perion vom Thron in Gallien vertrieben. Im Exil trifft und verliebt er sich in Prinzessin Helisena. Perion jedoch verlässt sie wieder, um sein Land zurückzuerobern – weswegen er seinen Sohn Amadis nie kennenlernt. Der wird – unehelich gezeugt – ausgesetzt und zum Ritter ausgebildet. Als solcher reiste er durch die Welt und rettete schöne Frauen, wie beispielsweise Arcalaus Schwester Arcabonne, die seitdem in ihren Retter verliebt ist – obwohl sie nicht weiß, wer er ist. Außerdem träumt Amadis von der Prinzessin Oriane, die er aus London rettet. Seitdem sind die beiden ein Paar.

Eine Person in rot-grünem Lackkleid sitzt traurig in einem Hängesessel

Arcabonne ist traurig und einsam – auch darum lässt sie sich doch schnell von Ideen mitreißen. Foto: Tom Schulze

Regenbogenbunter Bühnenspaß

Das war aber nicht die Handlung der Oper „Amadis, der Ritter“ von Johann Christian Bach, sondern die Vorgeschichte. Es ist also kompliziert. In Leipzig, wo die Oper aus dem 18. Jahrhundert für Familien und Kinder aufbereitet wird, treten zwei verloren wirkende Ritter namens Pi und Pa auf. Sie kommen aus der Zukunft, irren durchs Opernhaus und fragen bei der Einführung, ob jemand ein Einhorn gesehen habe. Im Schnelldurchlauf erklären sie die Situation. Nach einer kurzen Einführung öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf das Labor des bösen Zauberer Acalaus.

Bühnenbildner Dirk Becker hat einen sechseckigen Rahmen vor die Bühne gebaut, in dem sich der Großteil der Geschichte abspielt. Die Zauberburg wirkt rostig und wird von riesigen Zahnrädern beherrscht. Im Hintergrund gibt es immer wieder Projektionen, mal böse blickende Augen, mal Video-Einspieler. Die Zauberin Arcabonne sitzt in einem Hängesessel und ist traurig, weil sie ihren Lebensretter nicht daten kann. Sie streichelt eine Katze, die an die Grinsekatze aus der Burton-Verfilmung „Alice im Wunderland“ erinnert wie auch Arcabonne mit den strubeligen grünen Haaren.

Überhaupt wirken die Figuren sehr bunt: Arcalaus scheint mit einer hohen Stirn wie ein Cartoon-Bösewicht, Ritter Amadis ist eher der Typ Lauch im lockeren Anzug mit Beanie und die rettende Königin Urgande hat Kostümbildnerin Lorena Diaz Stephens in ein Kleid gesteckt, das aus regenbogenfarbenen Schwimmringen zu bestehen scheint.

Blick auf einen Bühne: Unten steht eine Menschenmenge in neongelber Kleidung in einem blau erleuchteten Raum, oben schauen zwei Gestalten über die Kante.

Als die Bühne hochfährt, ist das Publikum in Leipzig für einen Moment gefangen. Foto: Tom Schulze

Viel Werktreue in Leipzig

Nachdem Arcabonne ihre Arie beendet hat, tritt ihr Bruder auf und schwört sie darauf ein, Rache an Amadis zu üben, der ihren verschollenen Bruder Ardan erschlagen haben soll. Dafür rufen sie Dämonen herbei (wobei die Bühne hochfährt und den Blick auf den Chor in leuchtend gelben Gewändern freigibt). Das alles wird permanent kommentiert von den Rittern Pi und Pa, die so für einige Lacher sorgen und vor allem das junge Publikum auf dem Stand der Handlung halten.

Dass das nicht so recht gelingt, zeigt sich darin, dass der junge Anteil des Publikums schon gegen Ende des ersten 50-minütigen Teils anfängt, unruhig zu werden. Das könnte am Regiekonzept von Antje Thoms liegen: Die Inszenierung soll sich zwar an Kinder richten, weicht aber von der Struktur der Oper zwischen französischem und italienischem Stil nicht ab.

Dass Arcabonne ohne es zu wissen in Amadis verliebt ist, weiß das Publikum von Anfang an und so ist es auch keine Überraschung, als es ihr selbst klar wird. Und es gibt zwar die beiden Ritter, die alles erklären, aber die Rezitative werden dennoch gesungen. Die Übertitel werden mit modernen Emojis aufgepimpt – bleiben aber so klein über dem Bühnengeschehen, dass sie kaum Wirkung entfalten.

Mehrere Personen steht auf einer Bühne vor einer Projektion von lauter Herzen.

Am Ende weicht die Leipziger Inszenierung vom Original ab: Alle überleben und sind glücklich. Foto: Tom Schulze

Nebenschauplatz Musik

Das wirkt sich auch auf die musikalische Leistung aus. Dem Titel nach ist Amadis zwar der Held der Geschichte, doch bleibt Daniel Arnaldos spielerisch und sängerisch eher blass. Größere Auftritte hat Arcabonne, der Olena Tokar viel tänzerische Energie mitgibt, ohne dass die lyrische Qualität ihrer Stimme leidet. Oriane tritt zu Beginn recht zickig auf und Sopranistin Olga Jelínková kommt kaum über den Graben, dafür überzeugt sie mit stimmlicher Vielseitigkeit.

Insgesamt bleibt musikalisch weder auf der Bühne noch aus dem Graben etwas in Erinnerung. Andreas Reize – als Thomaskantor auch ein Nachkomme J.S. Bachs im Geiste – hat das Gewandhausorchester fest im Griff und schafft maximale Durchsichtigkeit. Dennoch plätschert die Musik im Hintergrund. Das könnte an der Komposition selbst liegen, oder daran, dass sie von der Menge theatraler Mittel zugedeckt wird. Die Musik wird zur Nebendarstellerin.

In der Einführung wird das Publikum ermutigt, auch dazwischen zu rufen und mitzumachen. An nur drei Stellen der Inszenierung wird es dazu aufgefordert. Die Botschaft „Ein echter Ritter rostet nicht“, die am Ende der Oper alle mitrufen sollen, kommt dann eher aus dem Nichts. Es scheint so, als wolle man den Geschmack des jungen Publikums bedienen, ohne ihm alles unterzuordnen. So war es eine schöne Idee, in Leipzig die Oper eines Bach-Sohns auf die Bühne zurückzubringen und eine Ritter-Oper für Kinder zu schaffen. Doch es wäre mehr Mut nötig gewesen.