Foto: Ensembleszene © Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Text:Georg Rudiger, am 19. Juli 2018
Johannes Erath inszeniert „Beatrice Cenci“ bei den Bregenzer Festspielen
Die Opferkerzen auf dem breiten Glas-Sarkophag brennen, die Goldmünzen im Inneren glänzen. Zu den wuchtigen Klängen der Ouvertüre von Berthold Goldschmidts 1950 komponierter Oper „Beatrice Cenci“ zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele schafft Regisseur Johannes Erath mit seiner Bühnenbildnerin Katrin Connan zu Beginn ein starkes Bild für die Verbindung von religiöser Inbrunst und grenzenlosem Reichtum. Die Geistlichen kombinieren ihre zwischen Pink, Violett und Orange gehaltenen Soutanen mit Sonnenbrillen. Dekadenz spricht aus jedem Rockzipfel (Kostüme: Katharina Tasch).
Die Oper erzählt die wahre Geschichte des brutalen, von der Kirche gedeckten Machthabers Francesco Cenci im Rom der Spätrenaissance. Die von ihm vergewaltigte Tochter Beatrice und die ebenfalls von Francesco gepeinigte zweite Ehefrau Lucrezia lassen den Tyrannen ermorden – und werden am Ende selbst hingerichtet. Berthold Goldschmidt (1903-1996) hatte die Oper 1950 im Londoner Exil komponiert, in das der jüdische Dirigent und Komponist 1935 aus Nazideutschland geflohen war. Zuvor war die Berliner Premiere seiner 1932 in Mannheim uraufgeführten ersten Oper „Der gewaltige Hahnrei“ durch die Nationalsozialisten verboten worden. Anders als in seinem Opernerstling zeigt sich Goldschmidt in „Beatrice Cenci“ milder. Der Brutalität der Vorlage geht er aus dem Weg. Seine immer noch tonal gebundene Musik mäandert zwischen Monumentalität und kammermusikalischer Intimität, zwischen kontrapunktischen, eher spröde klingenden Barockallusionen und spätromantischer Üppigkeit, zwischen dunklen Orchesterfarben und süßlichen Violinsoli. Damit war er in der vom Serialismus geprägten Nachkriegs-Avantgarde ein Außenseiter und verfiel in ein langes kompositorisches Schweigen, eher er Ende der 1980er-Jahre wieder entdeckt wurde. 1992 wurde „Der gewaltige Hahnrei“ in Berlin aufgeführt, 1994 folgten Aufführungen von „Beatrice Cenci“ in Berlin (konzertant) und Magdeburg (szenisch) in der englischen Originalfassung.
Für die österreichische Erstaufführung im Bregenzer Festspielhaus entschied man sich erstmals für die vom Komponisten angefertigte deutsche Textversion. Allerdings vermag auch sie nicht, dem Stoff klarere Konturen zu geben. Es fehlt den Figuren vor allem an musikalischer Identität. Dramatische Entwicklungen werden abgebrochen, bevor sie sich überhaupt entfalten können. Die Abgründe bleiben verborgen oder sind seltsam distanziert. Als Belcanto-Oper hatte der Komponist sein Werk bezeichnet und damit die gesanglichen Linien gemeint, mit denen er die Hauptpartien gestaltete. Diese können auch in stratosphärische Höhen reichen, die Gal James als Beatrice sicher bewältigt. Ihr zunächst zu eindimensionaler, stark vibrierter Sopran gewinnt im Laufe des Abends mehr Zwischentöne. Trotzdem bleibt diese geschändete Frau mit ihrer roten Perücke und dem Puppenkleid seltsam distanziert. Christoph Pohl schenkt dem dauergeilen, brutalen Vater weiche Kantilenen und selbstbewusste Posen. Dieser selbstgefällige Francesco Cenci mit seinem nackten Oberkörper und dem goldenen Penisschutz erhält noch am ehesten Profil. Dshamilja Kaiser gefällt als Stiefmutter Lucrezia mit sattem, farbenreichem Mezzo. Michael Laurenz singt den intriganten Prälaten Orsino mit leuchtendem Tenor, Christina Bock macht aus Beatrices Bruder Bernardo einen ebenfalls puppenhaften Leidensgenossen. Per Bach Nissen ist ein klangmächtiger, in der Tiefe schwachbrüstiger Kardinal.
Regisseur Johannes Erath versucht es erst gar nicht, den Figuren Leben einzuhauchen, sondern stellt sie in ästhetischen, aber nur selten zwingenden Bildern zusammen. Eine Abendmahlsszene wird zur Orgie, ein Kerzentisch zum gläsernen Sarg. Da sorgt auch das runde, an ein Kameraobjektiv erinnerndes Bühnenzentrum, in dem sich Beatrice und Lucrezia verlieren, für zu wenig Tiefenschärfe. Diese fehlt auch den Wienern Symphonikern unter ihrem Dirigenten Johannes Debus. Zwar widmet sich das Orchester durchaus mit hoher klanglicher Qualität und einer guten Balance der vielschichtigen Partitur, aber mitunter fransen die Ränder aus und sind Einsätze nicht zusammen. Die Musik entwickelt keine Sogwirkung, was aber auch an der zwischen den Stilen changierenden, häufig auf der Stelle tretenden Komposition anzukreiden ist. Wenn Dmitri Schostakowitsch ein Xylophon bei Ausdruckshöhepunkten verwendet, dann erzeugt es Gänsehaut – bei Goldschmidt eher ein Schulterzucken. Am Ende schreitet der Prager Philharmonische Chor in schwarzen 20er-Jahre-Kostümen aus der Tiefe des Raums nach vorne und stimmt ein Requiem für die beiden exekutierten Frauen an. Ein Quantum Trost beschließt den düsteren, rätselhaften Abend – und Bernardo zündet eine letzte Kerze an.