Der Film ist eine eigenständige Komposition, keine abgefilmte Vorstellung; die Theaterregisseurin Jessica Glause hat sich also auf die eigenständige Form eingelassen. Eine kluge Entscheidung, denn Streams von der Bühne euphorisieren nach einem Jahr nicht mehr so sehr. In 60 Minuten werden Probeszenen, Miniinterviews, Kulissenschieben, Kostümproben und einige Außendrehs ineinander geschnitten. Das ist bunt und lebendig, wie man sich die Welt der Jugendlichen eben vorstellt.
Man hört von Ängsten und Hoffnungen. Klimawandel und Rassismus sind prominente Themen, es geht um Geld und Armut, Liebe und Anerkennung, Luxus und Enthaltsamkeit. Und natürlich die neue Normalität, die bitte endlich wieder einer anderen Normalität ohne Distanz weicht. Dass natürlich die Jugend noch einmal besonders leidet in der aktuellen „Bitte steril bleiben“-Situation, liegt auf der Hand. Wie soll Pubertät ohne Sozialkontakte möglich sein? Und dann wird die ganze Generation medial zerfleischt, weil ein paar ihrer Vertreter mal vor Kameras geäußert haben, dass sie das Feiern schon vermissen.
Der Inszenierungstext stammt von Tina Müller, die ihn wohl aus Gesprächen mit den Jugendlichen herausgesiebt, komprimiert und dramatisiert hat. Was jetzt wirklich jugendliche Sicht, gefiltert oder ausgedacht ist, wird nicht ersichtlich – außer in den spontanen Interviewszenen. Da wird auch der zwischenzeitlich gezeigte Unwille, auf der Bühne sein zu müssen, gespielt sein. Immerhin ein Hint, dass das Projekt in der Schule angesiedelt war und eventuell Anwesenheitspflicht herrschte. Die Erwachsenen-Off-Stimme bügelt das weg mit Gönnergeste: „Ich stelle Euch die größte Sprechbühne Deutschlands zur Verfügung. Wie ist es, gehört zu werden?“
Der Film entgeht der Falle, die Jugendlichen als eine Art „Experten des Alltags“, wie es im Trend steht, zu präsentieren, die als Laiendarstellende etwas besser zu sagen haben oder verborgene Einsichten ins Leben oder die Zukunft haben. Auch die modische, bequem bleibende Theaterposition, sich für Debatten zu öffnen, die Räume anderen zu überlassen, um sie dann wieder fürs Exklusive zu schließen, hintergeht der Film – auch wenn es anfänglich anders erscheint. Es wäre interessant zu erfahren (gewesen), ob diese Art Selbstdistanzierung, das Hinterfragen der Sprecherpositionen so gut im Theater funktioniert hätte. Denn die Produktion wäre – nach allem, was erahnbar ist – als Revue über die Bühne gegangen. Im Film sind andere Schnitte, Einstellungen, Closeups usw. möglich, um die Positionierungen zu variieren.
Und wieso überhaupt Jugendliche nach ihren Zukunftsvorstellungen befragen, wo doch von Klimawandel bis zur Verteilung des globalen Reichtums so ziemlich alle Chancen auf positiven Ausgang verstellt scheinen? So lösen sich in den fantastischeren Filmsequenzen Utopie und Dystopie ab – und schließlich gegenseitig auf. Clipartig wird eine Welt ohne Erwachsene entworfen, in der die Jugendlichen einfach mal austicken dürfen. Das weckt pure Lust nach Leben, einem guten, nein geilen. Während die opulenten, nicht eingesetzten Bühnenbauten und Kostüme – steht da ein Döner zum Anziehen? – die Sehnsucht nach Theater noch größer wachsen lassen. Dieses kurz Überschießende ist Gefühl pur, tut gut in Zeiten, wo man vernünftig sein muss, weil das Überleben bedeutet, aber pure Vernunft ja niemals siegen darf, wie wir spätestens seit Tocotronic wissen. Oder wie ein Jugendlicher im Film schreit: „Ich will Kontakt, Kontakt, Kontakt!“
Am Ende dreht sich der Film komplett, beziehungsweise drehen die Jugendlichen den Spieß um. Sie geben die Fragen an die Zuschauer zurück: Das sind persönliche Wünsche („Wer hat einen Ausbildungsplatz für mich?“) und wütende Anklagen „Was habt Ihr genau getan, wenn Ihr sagt, dass Ihr schon so viel getan habt für die Umwelt?“ Und dann kommt die wichtigste, deren Beantwortung in einer alternativlos erscheinenden Welt so viel Potenzial enthält: „Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?“