Foto: Das Ensemble in der Bar: Alina Wunderlich (Mitte) vor Judith Thielsen, hinten v.l.n.r. John Heuzenroeder, Matthias Hoffmann, Insik Choi, Jeongki Cho © Paul Leclaire/Oper Köln
Text:Andreas Falentin, am 24. Juni 2019
Mit Jacques Offenbach ist es heute gar nicht so leicht. Das zeigen viele der Aktivitäten im Jubiläumsjahr, in Köln und anderswo. Der Erfinder der Operette wurde häufig repräsentativ vereinnahmt, erdrückt von großen Orchestern und ungestrichenen Langfassungen, verfehlt von pseudokritischem Regietheater oder schlicht in Klamauk ersoffen. Offenbachs ureigenes Amalgam, die Unterhaltungs-Kunst, verlangt Leichtigkeit und Lebenslust, Poesien und Scharfzüngigkeit. Was auf den ersten Blick wie eine Praline daherkommt, ist gemacht aus den Ansichten, Gedanken, Gefühlen von Offenbachs Zeitgenossen, die brüllend über ihre Spiegelbilder lachten, die ihnen auf der Bühne begegnen.
Das können wir heute nicht mehr simulieren. Dennoch gab es auch Gelungenes im Ringen um einen „neuen“ Offenbach zu erleben im Jahr 2019, das bekanntlich noch lange nicht vorbei ist. Wie „Je suis Jacques“ ein Projekt, das sich jetzt in Köln ereignete, am Offenbachplatz. Der Regisseur Christian von Götz hat sich ein Pasticcio aus bekannten und unbekannten Glanznummern gebaut, präsentiert jede einzelne mit leicht gerührter Stilsicherheit als lebenspralles Minidrama oder so delikate wie die Lachmuskeln erfreuende Sahneschnitte. Übrigens wo immer es für das Verständnis nötig ist, in geschmackvoller deutscher Übersetzung. Und er bewegt uns in sorgsam gesetzten Momenten des Innehaltens.
Zum Erfolg der Produktion trägt sicher die Magie des Ortes bei. Sieben Jahre sind Oper und Schauspiel jetzt im Exil in Köln. Seit einiger Zeit können Sie eine kleine, der Baustelle vorgelagerte Nebenspielstätte bespielen, jetzt ging es erstmals mitten hinein. Dieter Richter hat dafür die ehemalige Kantinenküche mit so sparsamen wie wirkungsvollen Mitteln in Art-Déco-Glanz getaucht. Der Raum ist ein schmaler, enger Schlauch. In einer Art Nische zur Linken sitzt das kleine Salonorchester und spielt, von Gerrit Prießnitz schwungvoll und feinsinnig vom Klavier aus geleitet, die klugen und organischen Arrangements von Ralf Sóiron. Vor dem Orchester: eine kreisrunde, schütter elegante Bar. Hier wird Theater gespielt, hier waltet der Köbes Jakob, der sich später in Jacques Offenbach verwandeln wird – oder so tun wird, als ob er es tut. Die sich entfaltende Handlung mit etlichen Anspielungen auf die Baustellensituation ist unwichtig, ist nur die Schnur für die Perlen, die Schachtel für die Pralinen. Sechs Figuren aus Offenbachs Operetten, stilvoll kostümiert von Sarah Mittenbühler, suchen ihren Komponisten, der schließlich zweierlei von ihnen wünscht: seine Katze, die er innig liebt, in eine Frau zu verwandeln, die er heiraten kann und seinen unbekannten Werken zu größerer Bekanntheit zu verhelfen. Den zweiten Zweck erfüllt die Aufführung prächtig: Das große Duett etwa aus „Le trois baisers du diable“ reißt mit mit seiner dramatischen Kraft und wird von Judith Thielsen, eigentlich die schöne Helena, und Matthias Hoffmann, sonst Hofrat Lindorf aus „Hoffmanns Erzählungen“ auf engstem Raum grandios dargeboten. Und das sinnlich-delikate Chanson des „Fortunio“ findet in Insik Choi, dem Orpheus, einen idealen Interpreten: kraftvoll, biegsam und innig. Dazu kommt die junge Alina Wunderlin als Marktfrau Ciboulette aus „Mesdames de Halles“ mit erstaunlichen Koloraturfähigkeiten und großer Bühnenpräsenz und Jeongki Cho mit elegant geführtem, höhenstarkem und timingsicherem Tenor als Blaubart – mit blauem Bart. Sie alle spielen hinreißend, ob solo, im Duett oder im Ensemble, auch und besonders in den für Musiktheater außergewöhnlich flüssigen Dialogszenen. Die bleiben der Puppe Olympia verwehrt, die in Gestalt von Verena Hierholzer stumm bleibt, sich viel stereotyp zu bewegen hat, am Ende aber eine Rolle als Schicksals- und Todesbotin zugewiesen bekommt, die sie mit großer Ausstrahlung füllt.
Dieser Offenbach-Abend macht nicht nur Spaß. „Je suis Jacques“ ist eine bekennende Hommage, ein tiefer Blick in die Komponistenwerkstatt. Stets bleibt die musikalische Form erkennbar, die parodiert wird. Man bekommt die Mittel dieser Parodie vorgeführt, die musikalischen wie die inhaltlichen. Und freut sich trotzdem daran. Schließlich bringen auch die Sängerinnen und Sänger, die Figuren spielen, die immer auch mal wieder andere Figuren spielen, erkennbar sich selber mit, ihre Künstlerpersönlichkeit und eben jene Humansubstanz, aus der Jacques Offenbach recht eigentlich seine Werke für das Theater schuf. Wie Christian von Götz das hier auch gelungen ist. Am eindringlichsten mit John Heuzenroeder. Der australische Tenor, lange am Haus und selten in Hauptrollen zu sehen, spielt den Jacob, Jacques aus einer versammelten, fast melancholischen Grundhaltung heraus. Sein finales Lied des „Fantasio“ aus der gleichnamigen Operette klärt die Stimmung des Abends und rührt gleichzeitig fast zu Tränen. Heuzenroeders Rezitationen von übersetzten Passagen aus Gedichten von Baudelaire, Verlaine und Rimbaud sowie Dialogfetzen aus „Fantasio“ könnte man auf Platte aufnehmen und sein – auch immer wieder komikfähiger – Tenor klingt wunderbar leicht und innig, mit viel Eleganz und ein wenig Trockenheit. Offenbach eben.