Foto: "Prinzessin im Eis" am Theater Aachen. Vorne: Katharina Hagopian © Carl Brunn
Text:Andreas Falentin, am 9. Dezember 2013
Das Libretto von Constantin von Castenstein will alles sein: Märchenoper und Familienstück, Politsatire, Konversationskomödie und sogar ein bisschen Öko-Thriller und absurdes Theater. Erzählt wird die Geschichte einer Polarexpedition im Jahre 2015, zum Zweck, die Gene ausgestorbener Tiere und Pflanzen durch Lagerung in Eishöhlen für die Zukunft zu bewahren. Bei Grabungen stößt das achtköpfige, international zusammengesetzte Team auf eine seit Jahrhunderten eingefrorene Prinzessin. Diese schwingt sich, frisch aufgetaut, umgehend zum Mittelpunkt der ihre eigentliche Aufgabe mehr und mehr vernachlässigenden Gemeinschaft auf und segelt schlussendlich mit dem deutschen Expeditionsleiter auf einer Eisscholle davon, die Expedition mit dem inzwischen zerstörten Gen-Material sich selbst überlassend.
Anna Malunat, die von der ersten Note an Teil dieses ungewöhnlichen Projektes war, erzählt und bebildert die Geschichte nachvollziehbar, teilweise charmant. Das schlichte, über weite Strecken sehr gut funktionierende Schneebühnenbild von Geelke Gaycken und vor allem die aus Schlafsäcken und sonstigen Polarutensilien witzig zusammengebauten Kostüme von Mona Ulrich sind dabei wertvolle Helfer. Strukturen, die Text und Musik bündeln, auf einen dramatischen Kern konzentrieren könnten, findet die Regisseurin allerdings nicht. Dafür irrlichtert es zu deutlich, franst der Stoff zu sehr aus, formal wie inhaltlich.
Am ehesten könnte diese „Prinzessin aus Eis“ wohl als leichte Komödie mit Widerhaken funktionieren. Dem stehen allerdings weite Strecken der Musik des bei der Premiere gefeierten Aachener Komponisten Anno Schreier entgegen. Die Komposition leidet an einer Seuche, die zur Zeit unter Uraufführungskomponisten weit verbreitet scheint. Man könnte sie salopp als „Straussitis“ bezeichnen. Spät- und postromantische Musik wird mit modernistischen Dissonanzen und Geräuschmaterial angereichert, originell instrumentiert und als Neutöner-Sound verkauft. Schreier, zu dessen Hausgöttern offensichtlich auch Wagner und Strawinsky gehören, erstickt mit wiederholtem sinfonischem Aufrauschen sämtliche Komödienansätze. Die Anlage der Prinzessin als eine Art Kitsch-Salome dagegen ist man geneigt zu akzeptieren, zumal Katharina Hagopian mühelos rollendeckend singt und sogar komisches Potenzial aus der musikalischen Konfrontation mit dem Übervater aus Garmisch-Partenkirchen herauskitzelt. Für Stimmen schreiben kann Schreier übrigens mehr als ordentlich, wie vor allem die klaren, lebendigen Rollenporträts der Tenöre Keith Stonum, Patricio Arroyo und Johan Weigel zeigen. Und wenn sich der Komponist mal zur Durchsichtigkeit traut, mal eine Szene auf den Gegensatz von flirrenden Flöten und hüpfendem Fagott oder Windmaschine und brummender Tuba baut, ohne den Klang mit Mittelstimmen zuzukleistern, hört man plötzlich Talent und Theaterinstinkt. Da erfindet er für jeden der Expeditionsmitglieder, die sich um die Hand der Prinzessin bewerben, ein eigenes musikalisches Idiom, das zudem mit einer musikgeschichtlichen Epoche verlinkt ist. Das hat Witz und klingt in der leichthändigen Umsetzung des Sinfonieorchesters Aachen unter Christoph Breidler sogar bestrickend. Und die öko-sauren Chöre der Eisbären („Ihr perforiert das Kühlsystem des fiebrigen Planeten“) werden in ihrer klugen Summ-und-Brumm-Ästhetik zu kleinen theatralischen Kabinettstückchen, wo immer Malunat ihnen eine dialogische Struktur beschafft. Aber dann läuft die Prinzessin unmotiviert zur Brandmauer, um so zu tun, als triebe sie auf der Eisscholle ab und das Orchester strausst wieder, dass es nur so kracht. Warum nur?