Foto: Uraufführung von Raimund Hoghe am Tanzhaus NRW. Raimund Hoghe und Ornella Balestra in "Quartet" © Rosa-Frank.com
Text:Hans-Christoph Zimmermann, am 17. November 2014
Die Diva ist immer real und artifiziell zugleich. Damit wir uns mit ihr identifizieren können, muss sie von dieser Welt sein. Doch ohne ihre überweltliche Selbstinszenierung wird es mit der Anbetung nichts. Die Diva ist „Erlösungs- und Identifikationsfigur“ in einem, wie Elisabeth Bronfen einmal schrieb. Nur deshalb kann der kleine Junge mit kurzen Hosen und roter Jacke in Gestalt von Raimund Hoghe sich im Zeitlupentempo dieser sonnenbebrillten Dame Noir auf High Heels nähern und ihr eine lächerliche gelbe Topfpflanze übergeben. Ein Akt der Bewunderung und Ikonisierung zugleich. Die Tänzerin Ornella Balestra muss denn auch den Großteil des Abends in dieser Rolle verbringen, ein Entkommen gibt es erst am Ende.
Raimund Hoghes neues Tanzstück „Quartet“ erweist sich im Sehen als ein merkwürdig disparater Abend, der sich zum Teil erst im Nachhinein zusammensetzt. Der Titel führt dabei eher in die Irre. Sicher, Hoghe arbeitet mit seinen Lieblingstänzern Ornella Balestra, Marion Ballester, Emmanuel Eggermont und Takashi Ueno zusammen. Doch zum Team gehören auch er selbst, dazu Luca Giacomo Schulte und Yuta Ishikawa und Viererkonstellationen spielen an dem Abend kaum einen Rolle. Es ist eher ein Abend der künstlerischen Selbstreflexion, über Ruhm und seine Folgen, über Einsamkeit und Anerkennung.
Kaum hat Hoghe die Bühne als Sämann abgeschritten und pralinenähnliche goldene Kugeln ausgestreut, kaum hat die Diva den Lockvogel für mehrere kleine Jungs gegeben, legt die ganze Truppe einen hemmungslosen Twist zu Rita Pavone hin, der in eine Parodie von Tanzfilmen der 50er Jahre übergeht. Händels „Sarabande“ lässt die Tänzer zu Statuen erstarren und Hoge gravitätisch einherschreiten, eine absurde Prozession mit schrägem Kopfputz schiebt sich über die Bühne. Es sind Erinnerungsbilder, die sich historisch deuten lassen, die von Initiationen sprechen oder auch an Hoghes Lehrmeisterin Pina Bausch denken lassen – die aber eher unspezifisch bleiben. Doch die Hälfte des Abends ist noch nicht vorbei, da schwenkt „Quartet“ um. Ornella Balestra und Marion Ballester geben ein symbiotisches Divenpaar mit Handwärmer, identisch und austauschbar. Raimund Hoghe selbst auf Stöckelschuhen eilt zu einem akustischen Showausschnitt von Liza Minelli inklusive Bühnenansagen wie ein Erschöpfter mit schlenkernden Armen über die Bühne, setzt sie hin, steht wieder auf: Ein Getriebener, von der Gier nach Anerkennung wie vom Fanvampirismus Ausgezehrter, den die Maschinerie des Showbiz fest im Griff hat. In Hoghes kleinwüchsiger und mit einem Buckel versehender Gestalt potenziert sich noch einmal die Erfahrung von Ausgrenzung, Sehnsucht nach Anerkennung, Bewunderung und Verehrung. Wenn er sich Diven-Sonnenbrille und -Kopftuch aufsetzt, wird er zu einer abgetakelten Norma Desmond in einer Chorus Line, um dann den kürzlich im Internet fälschlich Meryl Streep zugeschriebenen Monolog über falsche Kritik, über Arroganz, Unwissenheit, -höflichkeit und soziale Kälte als Ansprache ins Publikum zu schleudern. Musikalische Kronzeugen für diesen Parforceritt sind neben Liza Minelli vor allem Sammy Davis Jr., Dalida und Elaine Stritch.
Bilder einer abgründigen Verlorenheit und Einsamkeit ploppen auf. Der kleine Junge kehrt wieder, diesmal in Gestalt von Emmanuel Eggermont, gefolgt von einem schwerfällig tapsenden Takashi Ueno, die meist beschuhten Tänzer formieren sich zu kalt distanzierten Bühnenabschnittspaaren – doch je länger der Abend dauert, desto mehr erweist sich Hoghes Vorliebe für eine aus der Musik entwickelte Choreographie auch als Problem. Die am Songformat orientierte kurzgeschnittene Szenenfolge macht aus „Quartet“ eine mnemotechnische und selbstreflexive Nummernrevue, der eine konzisere Dramaturgie durchaus gut getan hätte. So franst der dreistündige Abend allmählich aus und entgeht dabei auch nicht der Gefahr einer selbstverliebten Präsentation seiner Mittel.