Foto: Die fünf japanischen Darsteller in der "The Sonic Life of a Giant Tortoise" im PACT Zollverein. © Kikuko Usuyama
Text:Ulrike Kolter, am 9. Oktober 2011
Die größte Herausforderung für den mitteleuropäischen Zuschauer an diesem Performance-Abend ist, eine unglaubliche Langsamkeit auszuhalten. Langsame Bewegungsabläufe, langsame Monologe, und zwischen der Langsamkeit – lange Pausen. Gekoppelt mit der dunklen Atmosphäre auf der Bühne von PACT Zollverein verlangt das sperrige Stück „The Sonic Life of a Giant Tortoise“ des japanischen Regisseurs Toshiki Okada und der Kompanie chelfitsch einiges Durchhaltevermögen. Im Rahmen der Ruhrtriennale bildete es die dritte und letzte Premiere in der Kategorie Tanz/Performance.
Fünf Japaner – zwei weibliche, drei männliche – monologisieren in japanischer Sprache mit deutschen Übertiteln durch die Lebenswelten, -träume und -zweifel unserer globalisierten Generation. Auf einer wie erwähnt ziemlich dunklen Bühne stehen ihnen ein paar Stühle zu Verfügung, rechterhand hängt erhöht eine Videoleinwand, linkerhand steht eine Kamera bereit für Liveaufnahmen vor einer hellen Wand. Dort sitzen sie dann zu dritt, oder allein, in der U-Bahn oder der Arbeit, formen stumme, teilnahmslose Gesichter oder verzerrt überzeichnete Grimassen, die dann überdimensional auf der Leinwand landen. Diese mimischen Karikaturen wirken umso abstruser, weil die fünf Darsteller ansonsten kaum bis gar keine emotionale Beteiligung blicken lassen.
Das ist schwer greifbar und doch konsequent, denn das schlimmste für diese junge Generation ist Schmerzlosigkeit, ein Übel namens „Alltag“. Der hielt erst mit der beginnenden Sesshaftigkeit des Homo sapiens Einzug in unser Leben, und seitdem herrscht Trott, U-Bahnfahrt, Arbeit, U-Bahnfahrt, das gleiche denken, tun, sehen. Da bringt schon der Traum, die beste Freundin sei gestorben, eine wohltuende Prise Schmerz. Oder der Wunsch, irgendwohin zu verreisen, die Illusion von Sinnhaftigkeit. Sonst vergeht ja das Leben wie im Flug!
Hin und wieder streuen die fünf merkwürdige Verrenkungen ein, gleichgültig und – langsam, in betonter Zusammenhangslosigkeit. Ein Bein links hoch, der Arm nach hinten gestreckt, die Schultern eingefallen, kniend oder kauernd. Toshiki Okada arbeitet häufig an der Grenze zwischen Bewegungs- und Sprechtheater, will Aufmerksamkeiten lenken und frönt dem Minimalismus. – Eine Herausforderung gewiss, doch höchst spannend im Durchbrechen eigener Sehgewohnheiten.