In zwei Wochen steht die Europawahl an. Entsprechend ist das Foyer der Studiobühne in Memmingen mit Tragetaschen, Bleistiften oder kleinen Notizblöcken ausgelegt, die dafür werben, zur Wahl zu gehen. Für den Spielraum selbst hat Inés Díaz Naufal ein gemeinsames Grundbühnenbild geschaffen: eine Vorhangschiene zum Anschluss und eine kleine Rampe mit Podest und Geländer. Weitere Requisiten werden je nach Bedarf eingeschoben, Auf- und Abgänge gehen an diesem Spielort nur durch laut klappernde Türen backstage.
Drei Stücke zu Europa
Von den drei Stücken ist „Schaum“ von Dudda dramaturgisch ein konventionelles Psychodrama. Die erfolgreiche Unternehmerin Susanne – sie produziert den besten Apfelschaum der Welt – hat einen Gehirntumor. Delia Rachel Bauen spielt in der Inszenierung von Paula Regine Erb den Wechsel von selbstbewusster Haltung und den Anfällen, die zu einer vorübergehenden Absenz führen, groß aus – zumal in einem Europa, das nach einem Vulkanausbruch in Asche verhüllt und kalt ist. Gefolgt von Georg (Sebastian Egger), ihrem einstigen Liebhaber, sucht sie mit Theodor, dem Levi Roberta Kuhr zarte Töne gibt, einen Erben. Aber der lehnt es ab, die Fabrik zu übernehmen. Er hat sich in die Einsamkeit Kretas zurückgezogen, um die zurückkehrenden Mönchrobben zu beobachten: Weil durch den Vulkanausbruch der Massentourismus zum Erliegen gekommen ist, kann die Natur sich wieder ihre Räume erobern.
Sprachlich ausgefeilt ist der Dialog „Wir“ von Judith Bethke. Madita Scülfort inszeniert ein aggressives Spiel zwischen Michael Naroditski als Ich und Linda Prinz als Du. Beide ringen um eine gemeinsame Identität als Wir. Zum Ende, nachdem sich eine vorsichtige Annäherung angebahnt hat, wird es mit den Reflektionen über den Schengenraum appellhaft. Stark sind die Assoziationen, die sich über die Farbe Blau der Europafahne ergeben. Mit Videos (David Lindert) auf kleinen weißen herabhängenden Stoffbahnen wird dieses assoziationsreiche Sprachspiel illustriert.
Junge Texte und Handschriften
Ein ganz anderes Format bedient Marie-Christin Janssen mit „Spiel mit dem Feuer“, ein absurd-kabarettistisches Spiel. Da ist zunächst Jean Le Saint mit seinen Hühnern, der auf seine Haubentaucher wartet, um sie zu taufen – eine Kabarettnummer für Sebastian Egger. Als er verschwindet, erscheint der Nazi Josef, der das Johannisfeuer, pardon: das Sonnenwendfeuer entzünden will. Tom Christopher Büning spielt dies Figur mit leisen bedrohlichen Tönen. Seine Aggressivität lässt er nur heraus, wenn er sich in die Enge gedrängt fühlt und Situationen nicht mehr beherrscht. Das passiert, als die Sängerin Helene auftritt. Almut Kohnle ist bis hin zum Vortrag von „Atemlos“ ein stimmiges Double von Helene Fischer. Als dann wieder Jean Le Saint erscheint, ist das Chaos perfekt. Mit hohem Spieltempo und überraschenden Einfällen – wie die Hühner in Tennisbällen zu symbolisieren – überzeugt Junjie Li in der Regie.
In Memmingen ist ein Abend gelungen, der in seinen drei Werkstattinszenierungen jungen Talenten, die schreiben und die inszenieren, einen Raum gibt. Man wird von ihnen hören.