Große Gatsby Eisenach

Jedermann des Untergangs

Rebekka Kricheldorf: Der große Gatsby

Theater:Landestheater Eisenach, Premiere:07.12.2024Autor(in) der Vorlage:F. Scott Fitzgerald Regie:Dominique Schnizer

Die Premiere von Rebekka Kricheldorfs Fassung von „Der große Gatsby“ am Landestheater Eisenach zeigt eine beängstigend nahe Aktualität von Endzeitstimmung. Dominique Schnizer inszeniert die Künstlichkeit der menschlichen Natur.

Warum sollen wir uns für eine Geschichte interessieren, die bei F. Scott Fitzgerald im New York des Jahres 1925 spielt? Nach zwei durchaus eindrucksvollen Verfilmungen (mit Robert Redford und Leonardo DiCaprio als Jay Gatsby) konnte man das Gefühl haben, dass die Geschichte dieser mysteriös aufflackernden und dann plötzlich verlöschenden Lichtgestalt des Mainstreams uns sehr fern liegt – in Rebekka Kricheldorfs Bühnenfassung von „Der große Gatsby“ in der Regie von Dominique Schnizer rückt sie uns beängstigend nahe.

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Nick Carraway, der als einziger hier nicht fraglos von sich überzeugt ist, sondern sich vom Geschehen um ihn herum irritierbar zeigt (stark im Schwachen: Jan Wenglarz), erzählt uns eine Geschichte über Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit der New Yorker Oberschicht, deren Tage von Langeweile und Hysterie ausgefüllt sind. Er selbst will „an der Börse“ sein Glück suchen, weiß aber nicht, was das bedeutet. Er trifft seine Cousine Daisy wieder, die wie eine traumverlorene Comic-Figur wirkt, ein Porzellanpüppchen, innerlich ganz hohl, ohne es zu merken (hinreißend im Zeigen totaler Selbstentfremdung: Mia Antoina Dressler).

Amerikaner und Nachkriegszeit

Man könnte sie für eine in Amerika wiedergeborene Tschechow-Figur halten, wenn sie sagt: „Man sollte etwas unternehmen. Aber was unternimmt man denn so?“ Als sie vor ihrem Cousin steht, fragt sie ihn vorwurfsvoll, warum er nicht bei ihrer Hochzeit gewesen sei. Er antwortet, er sein im Krieg gewesen, im Weltkrieg in Europa. Man kann nicht davon ausgehen, dass ihr dies etwas sagt. Ihr Mann Tom (überzeugend grobianisch: Matthis Heinrich) ist ein selbstherrlicher Nationalist, der gegen Einwanderer und all jene wütet, die nicht in sein Klischeebild des weißen Amerika passen; diese würden die Zivilisation zerstören. Der das sagt, ist reich, ohne je gearbeitet zu haben, alles, was er besitzt, ist ererbt. Arbeit? Sklaven arbeiten, freie Amerikaner nicht.

Gatsby Landestheater Eisenach

Mia Antonia Dressler, Leonard Pfeiffer. Foto: Christina Iberl

Mit wenigen Strichen, im artifiziell-höhlenartigen Bühnenbild von Christin Treunert voller blinder Spiegel, über die sich eine Art silbergraue Patina gelegt zu haben scheint, skizziert diese Inszenierung eine Endzeit. Eine, die uns fatal vertraut erscheint. Jeder steckt in seiner Weltblase fest, schottet sich ab, verbringt seine Zeit mit Bagatellen, an deren Wichtigkeit er jedoch keinen Zweifel aufkommen lassen will. Was kommt danach? Eine noch rechtzeitige Konsolidierung der alten Ordnung, oder aber der völlige Zusammenbruch, schließlich das Neue in Gestalt eines unkontrollierbaren Ausbruchs von Gewalt? Hier im schwülen New York des Sommers 1925 liegt wie vor dem Gewitter etwas Ungewisses über der Stadt.

Für immer verliebt

Dann tritt Gatsby auf, der sich einmal (und für immer) in Daisy verliebt hatte, aber doch nie als ihr Mann in Frage kam, weil er nicht reich war. Also tat er alles, um es zu werden – mit Alkoholschmuggel und andern durchaus mafiosen Methoden. Und tatsächlich ist er nun so reich, dass er einen Palast (gleich neben der billigen Gartenhütte von Nick Carraway) bewohnt und protzige Feste darin feiert, zu denen er die High Society New Yorks einlädt – in der Hoffnung, auch Daisy würde einmal kommen. Leonard Pfeiffer zeigt uns Gatsby als einen still-schlaksigen Außenseiter, der nur noch für ein Ziel lebt: Daisy zu beweisen, dass es sich für sie lohnt, für ihn ihren Mann zu verlassen.

Wer ist dieser Gatsby inmitten einer Atmosphäre schreienden Desinteresses? Er verkörpert das Goldene Kalb, zu dem der amerikanische Traum mutiert ist, gibt der schleichenden Auflösung ein Gesicht: als Partykönig von New York, der nichts so hasst wie die von ihm selbst veranstalteten Partys, die er nie besucht. Fitzgerald hat es im Roman Nick Carraway sagen lassen: „Gatsby, der Inbegriff all dessen, was ich aus tiefster Seele verachte.“ Und doch sei er eine „ungewöhnliche Begabung“ gewesen, „immer etwas zu erhoffen, eine romantische Bereitschaft, wie ich sie bei keinem Menschen sonst gefunden habe und wohl nie wieder finden werde“. Jedoch der Inhalt seines Traums ist Daisy, deren hübsche Hohlheit ein einziger Hohn auf jedes echte Empfinden ist. Gatsby sitzt in der Kunstgewerbewelt mit all seiner „romantischen Bereitschaft“ in der Falle. All die trägen Müßiggänger und zockenden Geldvermehrer um ihn herum haben ihm voraus, dass sie längst nicht mehr von etwas träumen. Selbst sein Tod erweist sich schließlich als ein Irrtum.

Schauspiel und Musik

Diese überaus geschlossen wirkende Inszenierung spielt souverän mit der Künstlichkeit der menschlichen Natur. Zudem beweist sie ein erstaunliches Gespür für ein nuanciertes Zusammenspiel der Schauspieler, zu dem auch die Musik von Augustin Zimmer einen nicht geringen Beitrag leistet. So steht der absurde Verkehrungsmechanismus vor uns, den längst nicht mehr nur das modern-marode Amerika immer aufs Neue zu reproduzieren scheint. Allerdings, der schöne Schein hat das Sein nicht nur völlig okkupiert, er ist längst hässlich geworden. Die fortgesetzte Behauptung von Schönheit verwandelt sich in diesem Kontext ins Groteske.

So kühl und präzise, so erregend zugleich ist die Bestandsaufnahme in dieser Fitzgerald-Überschreibung von Rebekka Kricheldorf, die „Gatsby“ zu einem modernen Jedermann des Untergangs erklärt.