Foto: © Volker Beinhorn
Text:Michael Laages, am 7. Januar 2024
In Wilhelmshaven nimmt Mario Wurmitzer Horváths „Italienische Nacht“ als Inspiration – und setzt an zur „Reise ans Ende Gleichgültigkeit“.
Schemenhaft flackert da eine Erinnerung auf – an eines jener Stücke, die der fleißige René Pollesch noch für die alte Bühne im Berliner „Prater“ kreierte: „Ein Chor irrt sich gewaltig“. Auch jetzt spielt eine Versammlung von Stimmen die Hauptrolle, wenn der österreichische Autor Mario Wurmitzer, Jahrgang 1992 und schon mehrfach ausgezeichnet, ein enorm wichtiges Ziel ausgibt: das „Ende der Gleichgültigkeit“. Die Reise dorthin will er initiieren mit einem neuen Theatertext. Für diesen Text hat er einen sehr alten und viel zu oft vergessenen als „Inspiration“ genutzt hat: „Italienische Nacht“ von Ödön von Horváth , uraufgeführt 1931 und zuletzt wiederentdeckt in Stuttgart und Berlin.
Inspiration
„La Notte Italiana“ hat Wurmitzer den neuen Text überschrieben, aber eine dieser derzeit so überaus modischen Überschreibungen vertrauter Texte sieht der Autor nicht im eigenen Versuch. Zur Premiere der Uraufführung ist er aus dem ziemlich fernen Wien nach Wilhelmshaven gekommen, wo die Landesbühne Nord das Stück uraufgeführt hat – und er will tatsächlich nur von der „Inspiration“ durch Horváth sprechen.
Horváth und Brecht haben das Interesse an Literatur geweckt beim Jungen aus niederösterreichischer Provinz, aufgewachsen am Rande vom Weinviertel im Norden von Wien. Als Wurmitzer 15 war, begann er über das eigene Leben zu schreiben. Als der Text ein Jahr später fertig war, wurde er zum Buch; im Titel das Alter des Autors: „Sechzehn“. Nach Wien zog er für’s Studium. „Nähe“ hieß der Text, der 2017 den Dramatiker-Preis in Osnabrück errang und dort auch uraufgeführt wurde im Jahr darauf. Preise und Uraufführungen folgten in Heilbronn, Paderborn und Berlin. Wurmitzers Text „Das Tiny House ist abgebrannt“ war im zu Ende gegangenen Jahr nominiert im Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Ebenfalls 2023 erschien Wurmitzers Roman „Es könnte schlimmer kommen“, der dritte nach „Sechzehn“ und „Im Inneren des Klaviers“. Auch mit „La Notte Italiana“ ist jetzt in Wilhelmshaven ein kluger, ambitionsreicher Autor zu entdecken.
Klassiker der italienischen Popkultur
Die „Inspiration“, die Wurmitzer bei Horváth fand, ist die szenische Grundkonstellation – als „italienische Nacht“ darf hier der 50. Geburtstag von Bruno Schmidt gelten. Er feiert mit Klassikern der italienischen Popkultur, zu Beginn etwa „Felicitá“ von Al Bano und Romina Power – am Schluss folgt „Ti amo“ von Howard Carpendale, das Herr Schmidt selber klampft. Robert Teufel, Oberspielleiter in Wilhelmshaven, inszeniert das im Finale als Einladung zum Mitsingen für‘s Publikum.
Die Gitarre wird gezupft. Foto: Volker Beinhorn
Tatsächlich aber stört das Fest von Herrn Schmidt die Hauptfigur im Stück: den fünfstimmigen Chor. Im Nebenzimmer der Kneipe tagt eine Art Partei-Versammlung; die denkt chorisch, arbeitet Tagesordnungspunkte ab und beschäftigt sich mit der jungen Marie, die sich „einbringen“ und „etwas bewirken“ will, eventuell gar als Mitglied im Verein. Mit dieser auf Veränderung gerichteten Energie aber kann das Kollektiv nichts anfangen. Das Quintett sieht sich als elitärer „Think Tank“, will nur theoretisch umgehen mit dem Ist-Zustand der Welt und bloß keine Handlungs-Strategien entwickeln. Oberstes Ziel ist „Deutungshoheit“.
Die Bösen
Dass dieses Kollektiv dabei vollkommen schief liegt, beweist schon der Blick vor die Tür des Restaurants – dort warten „die Bösen“ (wie der Chor sie nennt), die Ausgegrenzten und Abgehängten. Es sind Leute wie die Bauern, die es gerade auf Herrn Habeck abgesehen hatten in Schüttsiel … eine Luxuskarosse haben „die Bösen“ schon angezündet. 1931 und beim visionären Horváth waren das zündelnde, marodierende Nazi-Horden und deren Helfershelfer und Mitläufer.
Der Chor macht derweil radikale Metamorphosen durch – mit den „Bösen“ wollen die Denker nicht mehr reden; das nütze nichts. Später allerdings, als der Mob vor der Tür sich immer gröber gebärdet, entdecken sie plötzlich „das Böse“ als Teil vom eigenen kollektiven Ich – und wollen sich nun verbrüdern und verschwes-tern mit denen da draußen. Die sind aber gerade verschwunden – haben aber zuvor noch den aufgebrezelten Herrn Schmidt vermöbelt.
Über die Unmöglichkeit
Die beiden Figuren neben dem ebenso wahnwitzig wie ineffizient, ziel und ausweglosen sich kreisenden Chor wirken ein wenig zu ausgedacht. Herr Schmidt vor allem, der Geschäftsmann, der sich eher grundlos als „Intellektueller“ klassifiziert. Außerdem hätte er wohl gerne was mit Marie. Für die hat Wurmitzer praktisch alle wahren und klaren Sätze reserviert – wie sie „handeln“ soll, weiß aber auch sie nicht. Autos anzünden lehnt sie ab, als ein Chor-Mitglied sie heimlich zur „Antifa“-Aktivität überreden will; aber vielleicht würde sie sich ja auf Straßen festkleben … wer weiß. Recht hat sie fast immer – auch kurz vor Schluss (vor Howard Carpendale zum Mitsingen!) im Monolog über die Unmöglichkeit, aus Leid Glück zu schaffen.
Da ist nochmal zu spüren, wie viel Autor Wurmitzer will: in diesem Denkspiel mit ziemlich vielen doppelten Böden. Robert Teufels Inszenierung hält die Nachdenk-Stimmung im Gleichgewicht zwischen Kollektiv und Solisten und damit auch zwischen Realität und Abstraktion. Das Ensemble in Wilhelmshaven stellt sich selbstbewusst und sehr kompakt dieser Herausforderung, während Luisa Wandschneider eine Kneipen-Bühne wie aus Marshmallow-Stücken gebaut hat. Die Gleichförmigkeit der Chor-Klamotten ist geschickt absetzt von den Solisten. So macht die Optik das Denkspiel zur Komödie.
Und bei Carpendale zum Schluss wird sicher regelmäßig mitgesungen.