Hamburger "Passionsspiele"

Lagerkoller vor dem Eisernen

Bastian Reiber: Passionsspiele

Theater:Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Premiere:05.04.2017 (UA)Regie:Bastian Reiter

Die Passionsspiele Oberammergau 2020 wurden wegen des Corona-Virus abgesagt. Das von Nicolas Stemann am Schauspielhaus Zürich als „Work in Progress“ angekündigte „Corona-Passionsspiel“ entpuppt sich als eine Ansammlung digitaler Liedchen und Anekdötchen. Was bleibt nun? Das Hamburger Schauspielhaus streamt am Ostermontag bis 24 Uhr Bastian Reibers „Passionsspiele“. Wir sehen Jesus oder vielmehr seine Latschen als Projektion auf dem Eisernen Vorhang. Während dieser erwacht, verkündet ein Chor aus der Seitenloge, „was Matthäus berichtet“ – also im Grunde eine absurd ausführliche Übersicht über die Abstammung in der Bibel, ein „Wer zeugte wen?“. Nach sieben Minuten ist die Genealogie soweit geklärt, dass Jesus geboren wird. Ein Mädchen im Engelsgewand flattert über die Bühne und schüttelt ihr langes blondes Haar. Apropos Haare: Die für derartige Themen anscheinend obligatorischen langen Haare sind hier kein über Monate gewachsenes Naturhaar, sondern strähnige Perücken und falsche Bärte.

Szene Eins: Judas nimmt das Säckerl Geld an und kündigt seinen Verrat an, um ihn sogleich zu bereuen. „Ich habe ihn verraten, den Besten der Menschen.“ Damit ist der Teil, der eine Handlung zu bieten hat, vorbei. Der Eiserne Vorhang hebt sich ein Stück, gibt den Blick frei auf Römerfüße in Sandalen und allerlei Wagenräder. Man ahnt einen Tumult. Es folgt die Projektion „Wir bitten um etwas Geduld“ und die Erklärung, dass der Vorhang klemmt. Jesus tritt vor und erzählt Witze, ein Engel singt: „Er hält die ganze Welt in der Hand.“ Es ist ein peinliches Überbrücken einer Zwangspause, irgendwo zwischen Fremdschämen und christlichem Jugendlager. Und dabei soll es bleiben: Es ist dies die Inszenierung einer Panne, die alle Pläne zum Stillstand bringt – und das passt aufheiternd gut zu diesem Osterfest.

Gott sieht aus wie einem Pixi-Buch entsprungen und leitet sein Ensemble zu einem launigen Tänzchen vor dem Vorhang an. Dass das nicht zum Stück gehört, verbindet es mit allem, was nun folgen soll. Das eigentliche Thema, die Passion Christi, ist hinter dem Vorhang ausgesperrt. Was nun gespielt wird, ist das Nicht-Spielen-Können, der Verlust von Halt und Verabredung. Sie versuchen sich im Improvisieren (klappt mäßig). Im Tanzen (geht immer). Und im Singen (na ja). Der Osterhase kommt auch vor und Bjarne Mädel, dem anscheinend so fad ist, dass er auch gerne mitspielen will. Irgendwann nimmt Judas den Bart ab, an eine Rückkehr zur Handlung glaubt ohnehin niemand mehr.

Die Verzweiflung wird größer, die Ideen zur Beschäftigung gehen aus, die immer gleichen Tänze langweilen, die Nerven liegen blank. Lagerkoller vor dem Eisernen. „Ich  kann nicht mehr, ich mach das nicht mehr mit“, schreit Maria irgendwann, die so gerne ihre 30 Seiten Text auf Aramäisch aufsagen würde. „Mir fällt auch nichts mehr ein.“ Dazu wird es nicht kommen. Dieser Abend ist ein Dazwischenfunken der Realität in die Pläne der Menschen. Die Verzweiflung der Schauspieler, die nicht auf ihre Bühne können, ähnelt der der Menschen in diesen Tagen, die nirgendwohin können. Dieses Ensemble steht dazu, dass sie „nichts drunter“ haben und erhebt das Nichts aus Verzweiflung zum Maß aller Dinge. Den Nicht-Sinn. Den Non-Sense.

Am Ende wird sich der Eiserne schließlich doch noch heben. Da tänzelt aber gerade eine Parade aus Fisch, Panda und Astronaut über die Bühne. Auf Passion ist hier niemand mehr eingestellt. Der Exit kommt spät und unerwartet. Back to normal? Heute nicht mehr.