Foto: „Séance de Travail” am Schauspiel Bochum © Joseph Kadow
Text:Maike Grabow, am 4. April 2019
Ein Foyer wird zum Laufsteg: Im Bochumer Schauspielhaus entfremdet die Performance „Séance de Travail“ das Foyer von seinem eigentlichen Zweck. Ein langer Laufsteg, bestehend aus mehreren Podesten zieht sich durch den eigentlichen Raum des Wartens. Statt auf die Vorstellung zu warten, verbringen hier die Zuschauer als Beobachter einen extravaganten Abend. Der Tänzer und Choreograf Trajal Harrell vermischt alles in seiner Performance. Für seine Kombinationen verschiedener Tanzrichtungen und -stile ist er schon länger bekannt. In Bochum setzt er ihm die Krone des Abstrakten auf.
Was in dieser Performance fehlt, ist eine narrative Struktur. Die Rahmenhandlung einer Modenschau zerfällt bereits nach dem ersten Auftritt der vierzehn Tänzer und Schauspieler des Bochumer Ensembles. Wir sehen keine Modenschau oder ein Tanzstück, sondern ein Kunstwerk bestehend aus mehreren Tableaus. Diese treffen sich, ergänzen sich und formieren sich um. Die einzelnen Performerinnen bilden sich zu verschiedenen Paarkonstellationen oder kleinen Gruppen, um sich im nächsten Moment wieder zu trennen. Sie sind theatralische Posen, Skulpturen, Augenblicke. Dazwischen ordnet sich der Tanz ein. Auch nicht klar definierbar – mal Voguing, dann wieder Butoh und manchmal einfach nur Bewegung. Jedoch nie verunsichert, immer zielgerichtet, immer energisch. Der japanische Butoh-Tanz ist die wichtigste Chiffre des Abends: Die Toten tanzen durch die Körper der Lebenden. Er wird als „Tanz der Revolte“ bezeichnet und beinhaltet skurrile Bewegungen, die inspiriert von Kranken, Behinderten und Schwachen sind. Verzerrte Gesichtszüge, kuriose Verrenkungen und das Leidende prägen diese Momente in „Séance de Travail“. Die Darsteller setzen im übertragenden Sinne Masken auf. Entweder blicken sie ins Nichts, dann wieder anzüglich auf die Zuschauer, im nächsten Moment weinend, im anderen verzerrt, dann wieder übertreiben glücklich. Am Ende weinen alle.
Die Kostüme sind inspiriert von verschiedenen kulturellen Modestilen aus unterschiedlichen Jahrzehnten, viel Haute Couture, wahre Kunstwerke und im nächsten Moment wieder normale Sportkleidung. Für diese Meisterwerke gebührt Stephen Galloway, der für die Kostüme zuständig ist, großen Respekt. Am Höhepunkt des Abends wartet er mit einem Spiel mit Verschleierung auf und variiert mit dem Verborgenen. Kleidungsstücke werden umfunktioniert und zu Niqab, Abaya oder Hijab. Teilweise zeigen sie, was sich unter diesen Schleiern verbergen oder sie werden in ihrer Funktion verfremdet. Wie ergänzt und verändert sich das Oberflächliche mit dem Verborgenen?
Auch wenn es ungewöhnliche Kreuzungen sind, so harmoniert doch alles, weil gerade nicht versucht wird, dass alles zusammenpassen muss. Zum Beispiel nimmt die Musik eine eigene Position ein und unterstützt das Geschehen selten. Am Anfang tragen die Performer sportliche Kleidung, bewegen sich wie auf einer Modenschau, verweilen in Posen. Unterlegt von Trommeln, Geräuschen, die wie quietschende Schuhe klingen und Klatschen. Zunächst wird dieser Sound wiederholt. Als sich die Kostüme verändern und extravaganter werden, wechselt der Sound nicht sofort. Danach taucht er wieder auf, manchmal einfach unter eine andere Melodie runtergelegt.
In diesem kurzweiligen, aber intensiven Abend werden wir entführt in eine Welt der Diversität – in allen Bereichen. Mode, Kunst, Kultur – wer kann das noch alles genau unterscheiden? Alles verschmilzt. Es schwingt immer eine Ironie mit. Zu übertrieben die Gestiken, die Kostüme, die Bewegung. In zwei Einkerbungen auf dem Laufsteg befinden sich Geldscheine. Eine stetige Erinnerung an den Materialismus und Kapitalismus, den wir uns zum Vergnügen anschauen.