Showdown auf der Theaterbühne
Gestern, am 11.11., kam es dann im Depot 1 des Schauspiels nach allen Krisen und Infragestellungen zur Premiere von „Oblomow Revisited“, der Überschreibung von Nele Stuhler. Die drei verbliebenen Akteure räsonierten um das zentrale Probensofa herum über die aktuelle Situation und fragten zwischen Rolle im Roman und Rolle in der Produktion pendelnd nach dem Wert des Nichts. Dabei zeigte sich mit der Anwesenheit des Publikums – das deutlich nicht dem typischen Premierenpublikum glich, sondern offenbar auch aus Mitgliedern der „Twitch-Gemeinde“ bestand –, dass nicht-aktives „Tun“ des Publikums im Theaterraum dem Spiel noch eine ganz andere Qualität hinzufügen kann als in digitalen Medien. Über der Bühne war auf einer Leinwand Luana Velis‘ Live-Twitch zu verfolgen: Sie schwieg trotz anfangs verzweifelten Anspielens ihrer Mitspieler sphinxhaft und wurde von zahllosen Chatkommentaren begleitet. Das Provisorische der einmaligen Aufführung unterstrichen noch Textbücher in der Hand sowie zwei probenähnliche Eingriffe des Regisseurs aus der letzten Reihe.
Durch die Einspielung zentraler Videos der letzten Wochen entstand an dem Abend eine komprimierte Fassung der „Vorgeschichte“, die mit der Live-Performance und dem Live-Twitch der schweigenden Oblomowa ein assoziatives Verbindungsnetz herstellte, ein performatives Gesamtkunstwerk aus digitaler Vorarbeit und theatraler Aufarbeitung schuf. Die sängerisch beeindruckenden Opernkurzarien von Kristin Steffen zu Chatkommentartexten wie „theater klischee in person“, die verkrampfte Unlockerheit von Justus Maiers Stolz im Kontrast zu seinem entspannten Vater im eingespielten Video oder Alexander Angelettas theatral dick aufgetragene Transformation der Dienerrolle auf Lieferdienstleister schufen ein oft anregende Performance.
Die Enthüllung der Digital-Inszenierung
Bis, kurz vor Schluss, das riesige Sofa der drei herausgerollt und von hinten ein Zimmerimitat mit Schauspielerin hinter Rechnern und Kamera hereingeschoben ward. Das Zimmer von Luana Velis war – jedenfalls an diesem gut zweieinhalbstündigen Abend – also ein Imitat. Die Verweigerung der Schauspielerin insgesamt war also offensichtlich inszeniert. Mit der weiter schweigenden Protagonistin unter der Leinwand wurde schließlich in Auszügen das Videotelefonat zwischen ihr und dem Regisseur am Wendepunkt der Probengeschichte wiederholt. Darin beschreiben die beiden in empathischer Suche nach gegenseitigem Verständnis über die – gespielten – Differenzen hinweg die Absurditäten des Betriebs, aber auch die wunderbare Kraft des Gemeinschafts- und Frageraums Theater.
Die aufwendige, komplexe Produktion findet auf der Bühne keine Fortsetzung mehr. Das ist schade und konsequent. Sie hat das digitale Theater in eine neue Dimension geführt; eine Nachahmung ist in dieser Form nicht unbedingt möglich, zumal die inhaltliche Verbindung mit der Textvorlage die Form intensiv prägte. Wie nah dabei „Erfolg“ und „Absturz“, ein Zuviel über das komplexe Maß hinaus sein können, zeigte sich im finalen, langwierigen Video, das einen Alptraum Oblomowas als Gruselstreifen im Leuchtturm zeigt. Der Schlussapplaus litt darunter deutlich. Das Projekt ist dennoch mitnichten gescheitert. Das Team und das Schauspiel Köln haben mit „Oblomow Revisited“ einiges riskiert und viel gewonnen.
Im Januar-Heft werden wir einen ausführlichen Werkstattbericht zu „Obomow revisted“ veröffentlichen: mit Beiträgen von Beteiligten und einer kritischen Bilanz aus der Redaktion. Hier wird das Heft ab 1. Januar bestellbar sein.