Zwei Personen in einer Klokabine, eine lacht, die andere fasst sich an die Sonnenbrille

Robin Kulisch, Mikael „Leakim” Johansson: Flush

Robin Kulisch, Leakim” Johansson: Flush

Theater:SchwuZ – Queer Club, Premiere:09.04.2025 (UA)Regie:Marco Krämer-Eis

Das Club-Musical „Flush“ am Berliner SchwuZ – Queer Club ist eine exzessive Feier für Kenner:innen. Mit seinem Musical huldigt Robin Kulisch einem überholten Gay-Ideal.

Das neue Musical „Flush“ spielt auf der Männertoilette eines Nicht-Nur-Schwulen-Clubs. Dabei gibt es im Uraufführungsort, dem Berliner SchwuZ – Queer Club schon seit einigen Jahren eine Unisex-Toilette mit Pissoirs für „she“ und „he“. Auch während der Vorstellung herrscht buntes Treiben an der Bar nebenan. Das gehört dazu. Mit den über 18 Rollen seines Buchs für nur drei Darsteller huldigt Robin Kulisch einem inzwischen durch die schöne neue Gender-Utopie überholtem Gay-Ideal.

Daniel Unger hat als Ambiente für diese Brunft- und Sehnsuchtsschreie, welche im besten Fall mit schnellem Sex erstickt und für kurze Zeit zum Schweigen gebracht werden, ein mit Liebe zum Detail derangiertes Örtchen gebaut. Drei Pissoirs, Plakate für Starlets und einen Safer-Sex-Aufruf, ein Kondom-Automat und Kabinen mit ziemlich plump-drastischen Bemalungen. Ramona, der Travestie-Star im Stück, bringt es auf den Punkt: Die Clubszene leidet unter Pleitegeiern. Deshalb wirft sich Ramona mit ihrem einmaligen exklusiven Auftritt ins Rennen und putzt wegen Personalmangels das stille Örtchen höchstselbst. Dabei wird sie zur Klagemauer so manch frustriert-verzweifelten Clubgastes.

Das Premierenpublikum verharrt dazu in ordentlichen Stuhlreihen, lacht belustigt, wissend und bestätigend. Die Uraufführung von „Flush“ wurde in der Regie von Marco Krämer-Eis ein rauschendes Szeneevent für Connaisseure und ihre Freund:innen. Das war vor zwei Jahren bei Mark Simpsons schwuler Club-Oper „Pleasure“ im Studio des Theaters Erfurt etwas anders, wenn auch dort die Toilettenperson zur Tröstenden gebrochener Herzen wurde. In Erfurt spielte die Balz des zentralen Paars mitten im Publikum, quasi interaktiv. Im SchwuZ nimmt die Zuschauerschaft dagegen die Zentralperspektive ein – sitzend.

Frenetische Lebensgier

Bereits die Ouvertüre ist ein wilder Techno. Mikael „Leakim“ Johanssons laute, stramme, taffe Rhythmen sind oft wichtiger als die drei Darsteller und deren Texte. Man klagt über den Konsumkult und huldigt diesem zugleich heftigst mit Worten, Gesten und Taten. Auch Liebesgier leuchtet aus den Versen, zudem ein großes Faible für Mode und die Angst vor dem Alter. Garniert wird das mit Rosamunde-Pilcher-Weisheiten im Dauerfeuer. Sollte da von Seiten der Autorschaft Ironie beabsichtigt sein, schwappt diese maximal bis in die dritte Reihe – auf keinen Fall weiter. Aber das Publikum kommt in beste Stimmung. Unger trifft mit seinen Kostüm-Kreationen den Nerv und die Attitüden der Club-Fans, -Dauergäste und Hipster genau – sei es den Sozialpädagogen mit Latex-Doggie-Montur, den scheuen Clubdebütanten, den frivolen Narzissten, den zupackenden Sexsüchtigen, den Hypermacho und den schäbigen Schwulenhasser – ja, auch so einer kommt vor.

Aberwitzig viel zu tun haben die nur drei Spieler! Diese vollziehen fast alle 90 Sekunden einen Kostüm- und Rollenwechsel. Sie sind ständig auf dem Sprung in Robin Rohrmanns herausfordernder Choreografie, rein und raus aus den Klamotten. Dazu Tanzen und frenetische Lebensgier mit beziehungsweise ohne Drogen. Zwei durchschnittliche Typen sind die Hauptpersonen Robert und Paul. Der etwas kleinere, dunkelhaarige Robin Cadet übernimmt eher die kraftvoll zupackenden und zubeißenden Heißsporne, die nichts anbrennen lassen, deshalb aber durch Größenfantasien, Priapismus und Katzenjammer gleichermaßen anfechtbar sind. Felix Heller ist größer, blond und übernimmt eher die nicht ganz so forsche, leicht nachdenkliche und ihre Beute mit etwas strategischem Denken ansteuernde Jagdspezies. Beide zusammen geben eine wilde bis wunderbare Stimmungsmischung. Fast pikant und nobel dagegen: Szenestar Jurassica Parka als Ramona, deren Lächeln auch vom Plakat über dem Pissoir strahlt: Eine Person mit Erfahrung und Wissen um’s männliche Fühlen, das allen in Leib und Sinne fährt.

Unter sich

Autoren und Spieler sparen nicht mit realistischen Details. Die Aktionen hinter den Kabinentüren und alle sexuellen Bedürfnisse, alle Offerten, Wünsche und Biestigkeiten werden heiter bis drastisch beschrieben, ausgeführt und kommentiert. Wer das Musical „Flush“ ansteuert, bekommt auch „Flush“, inklusive eines in den Text eingebauten Warnhinweises der Aidshilfe. Das englische Wort „Flush“ bedeutet sowohl das Rieseln eines Baches wie ein spülendes Rinnsal. Aber es bedeutet auch die rötende Hautreizung infolge von emotionaler Erregung unter Alkoholeinfluss oder aus Scham anlässlich eines Ertapptwerdens. Mindestens zwei Wochen soll das hehre Stück laufen und setzt nach „Operette für zwei schwule Tenöre“ so die Berliner Initiativen um ein queeres Musical fort.

Man ist unter sich, feiert nach Kräften wild und exzessiv. Kein Käfig voller Narren, aber der sich in einem Brunftschrei temporäre Erleichterung schaffende Ruf nach Liebe. Alle Schablonen der Partnersuche und ihrer narzisstischen Hürden werden thematisiert. In überdrehten Momenten kommt „Flush“ fast auf das Level von „Little Britain“, in den melancholischen Momenten tobt über dem Techno die gefühlsechte Welt des deutschen Schlagers. Authentisch sind in dieser bizarren bis galgenhumorigen Show die Lust und der Wille zum Unvollkommenen, Spontanen, Burlesken. Trotzdem sei die Frage erlaubt: Was hätte zum Beispiel das GRIPS Theater mit seinem Willen zur lauteren Lebenswahrheit aus „Flush“ herausgeholt?