Foto: Szene mit Victoria Schmidt © Neven Allgeier
Text:Valerie Schaub, am 26. Oktober 2015
Wenn das Bild den Menschen überlebt, was ist dann auf einem Foto zu sehen, das eine Kamera in dieser Welt ohne Menschen gemacht hat? In einer Zeit, in der immer mehr Bilder immer schneller verarbeitet werden müssen, treffen Thomas Köcks Überlegungen ins Schwarze. „PARADIES HUNGERN“, der zweite Teil von Köcks Klimatrilogie, hat das Landestheater Marburg in Auftrag gegeben und nun uraufgeführt. Mit drei Schauspielern in der Black Box hat das Stück andere Voraussetzungen als sein Vorgänger, „PARADIES FLUTEN“, dessen Inszenierung als Tanz-Schauspiel-Projekt in Osnabrück auf einer großen Bühne Platz hatte.
In der Klimatrilogie wettert Köck gegen Kapitalismus und zu Welt gewordene Bilder, Weltbilder, an denen seine Figuren scheitern. Ben (Roman Pertl), Maggie (Oda Zuschneid) und Caro (Victoria Schmidt) stecken alle in Krisen. In persönlichen und öffentlichen. Dazu schneit oder ascht es, die Klimakrise ist auch allgegenwärtig.
Bens Einreisevergangenheit erzeugt bei seinem Nachbarn Misstrauen und der hetzt die Polizei auf ihn. Maggie hat es aus der Peripherie über den sozialen Rand in die Stadt geschafft aber sie hat Angst, als Nichtzugehörige enttarnt zu werden. Caro sitzt als Kriegsreporterin in einem Luxushotel im Krisengebiet fest und fragt sich, wie die anderen Journalisten feiern können, währen draußen der Bürgerkrieg tobt. Stattdessen versuchen sie die Bilder mit Alkohol herunterzuspülen. Maggie und Ben erinnern sich an Stiefel in ihren Gesichtern oder Tränengas in ihren Augen. Alle kämpfen mit Bildern, die sich in ihren Köpfen als Erinnerung festgesetzt haben und von denen sie sich erzählen. Köck hat in den Text Gespräche mit Kriegsreportern einfließen lassen.
Daniel Angermayr platziert die drei Schauspieler auf einem schwarz glänzenden erhöhten Quadrat und hat dahinter ein kleines Bambusdickicht und eine Leinwand hochgezogen, die permanent Störungen abbildet: Bildrauschen, Testbild. An den Rand des Quadrats hat der Bühnenbildner einen Buzzer gestellt, mit dem sich akustisches Rauschen abschalten lässt.
Regisseurin Fanny Brunner stellt den Text genauso kondensiert auf die Bühne, wie Köck ihn konstruiert hat. Sätze schichten sich ineinander, wie Blitzlichter schießen sie aus den Mündern der Schauspieler raus, die zu Textmaschinen werden. Mit akustischen Momenten gibt die Regie den Wortschwallen aus Köcks Text einen Takt. Wenn der Takt ausfällt, bleibt dem Text auch die Luft zum Atmen weg und er verpufft im Raum. Manchmal erzeugen die Schauspieler selbst die Geräuschkulisse. Das Pochen eines Hubschrauberpropellers oder das Rattern einer Kalaschnikow entsteht, als Caro das Mikrofon an einen Ventilator hält. So kommt die Inszenierung ohne Bilderflut aus, dafür ist die Textmasse umso heftiger. Wäre es ein Hörspiel, hätte Köcks Text andere Chancen, wahrgenommen zu werden. Victoria Schmidt als Caro schleudert der Welt ihre Gereiztheit ins Gesicht und verhaspelt sich leider ab und zu im Text, der in seiner Fülle und den zerhackten Verschachtelungen nicht einfach ist.
Einmal haben die Worte Pause. Dann produzieren die drei Krisenmenschen schöne Zwischenbilder: zeigen nur mit einem Stuhl, wie ein Pärchen im Fotoautomat sitzt und der Blitz sie immer genau dann erwischt, wenn sie von seinem Schoß herunterrutscht, er sich zurechtsetzt, sie ihm einen Fleck am Mundwinkel wegwischt. Die Geschichten zerfallen tatsächlich in Bilder, wie es in der Regieanweisung steht. Sie werden nicht erzählt, sondern wie Serienaufnahmen schnell hintereinander geschossen. Der Text findet oft auf einer anderen Ebene statt. Was auf der Bühne passiert, kommt manchmal selbst als Rauschen einer Störung an.
Die Anspielung auf den 2011 im libyschen Bürgerkrieg gestorbenen Krisenfotografen Tim Hetherington ist in der Marburger Uraufführung nichts mehr als ein Echo, ein Nachhall, der sich nicht so ganz ins Gesamtbild fügen will. Schade.