Foto: Märchenstände auf dem Diwan: Gerd Vogel (links) als Kalif Schahryar und Anke Berndt als Titelheldin der Oper "Schahrazade". © Falk Wenzel
Text:Roberto Becker, am 2. Dezember 2013
Zu überregionaler Aufmerksamkeit kommt ein Opernhaus heute vor allem, wenn es mit Uraufführungen oder Ausgrabungen aufwartet. In Halle hat gibt es in dieser Spielzeit sogar beides. Nach der Uraufführung von „Sky Disc“ folgte jetzt die Ausgrabung. „Schahrazade“ ist eine Oper des von den Nazis verfemten Frankfurter Komponisten Bernhard Sekles (1872-1934). Bisher war er allenfalls bei Spezialisten noch bekannt, weil zu den Schülern des mit der Komposition von Liedern und Kammermusik bekannt gewordenen Frankfurter Musikpädagogen unter anderem Paul Hindemith, Theodor W. Adorno und Ottmar Gerster gehörten. Immerhin hat kein geringerer als Wilhelm Furtwängler 1917 die Mannheimer Uraufführung des orientalisch angehauchten Dreiakters, der auf einer Geschichte aus „Tausendundeiner Nacht“ beruht, dirigiert. Doch dann regierte der Rassenwahn in Deutschland und versetzte auch der Musikszene einen Schlag, den sie bis heute nicht überwunden hat.
Sekles‘ Oper ist groß instrumentiert und frönt einer gewissen Klangvorliebe der Entstehungszeit fürs Orientalische. Es ist eine eingängige Musik, die dicht am Text bleibt, in den Orchesterzwischenspielen auch schon mal nach Filmmusik klingt, aber vor dem wirklich großen, opulenten Aufblühen des Orchesters zurückschreckt. Dadurch wird aber auch nichts vom Text überdeckt, der vor allem mit seinem Frauenbild glänzt. Was da immer wieder aus dem Off, aus dem Munde des Kalifen und selbst von Schahrazade ausgebereitet wird, stellt nicht nur von heute aus gesehen alles in den Schatten, was man sonst so in der Opernliteratur zu hören bekommt. Dieser Herrscher ist einmal von einer untreuen Frau enttäuscht worden, schläft nun nur noch mit Jungfrauen und lässt sie dann immer am nächsten Morgen köpfen. Es kann ja gut sein, dass Schahrazade recht hat, dass dieser Mann, entgegen dem blutrünstigen Anschein, die Frauen besonders liebt und sehr einsam ist, als sie beschließt, sich mit ihm trotz Todesgefahr, freiwillig ins Bett zu legen. Dass diese Rechnung aufgeht und sich dieser Mann im dritten Aufzug „umdrehen“ lässt und sich künftig von ein und derselben Frau mit Liebe (und ihren sagenhaften Märchenerzählkünsten) unterhalten lässt, ist von der Märchenvorlage in die bemühte Libretto-Exotik gelangt.
Diese Problematik hat im Zeitalter Freuds natürlich auch eine psychoanalytische Komponente. Leider hält sich Regisseur Axel Köhler nicht damit auf, sondern erzählt die Geschichte sozusagen vom Blatt. Was unfreiwillige Parodie, aber auch szenische Peinlichkeiten einschließt. Henrike Bromber tut bei den Kostümen ein Übriges. Sie bietet auf, was der Kostümfundus schon immer fürs Orientalische vorsah. Auch Bühnenbildner Arne Walther kommt nicht über kreuzbrave Orientalismen hinaus.
Anke Berndt darf da als Schahrazade nur eindimensional agieren. Das macht sie allerdings sehr gut. Den vokalen Maßstab der Produktion setzen hier aber Gerd Vogel als Kalif und Ki-Hyun Park als Großwesir und Schahrazades Vater. Im Graben ist der neue GMD der Staatskapelle GMD Josep Caballé-Domenech mit Erfolg darauf bedacht, den Zusammenklang des Orchesters mit dem Dauer-Parlando der Protagonisten zu sichern und dabei die eigenwillige atmosphärische Diktion der Orchesterzwischenspiele wirken zu lassen. Das Premierenpublikum würdigte die Anstrengung aller Beteiligten gebührend. Ins Repertoire dürfte es diese Oper angesichts der übermächtigen und prominenten Konkurrenz gleichwohl nicht schaffen.