Foto: Kunterbunter Abend: Stefan Sevenich, Pascal Herington, Marielle Murphy und Youn-Seong Shim in "Yolimba". © Oliver Berg
Text:Christoph Schulte im Walde, am 27. Oktober 2019
Manchmal kann Schüchternheit von Vorteil sein. Zum Beispiel für Herbert, den vielleicht etwas einfältigen, aber lustigen und sympathischen Plakatkleber. Er bringt es nicht zustande, sein Gefühl „Liebe auf den ersten Blick“ in Worte zu fassen. Sein großes Glück, denn sonst hätte ihn glatt eine Revolverkugel durchlöchert.
In Wilhelm Killmayers musikalischer Posse „Yolimba oder Die Grenzen der Magie“ nämlich ist die Titelfigur, in die sich Herbert verliebt hat, ein mordendes Kunstgeschöpf in verführerischem Outfit, entstanden im Kopf und im Labor des Magiers Möhringer. Seit dem gestrigen Samstag treibt dieser im Theater Münster wieder sein Unwesen und lässt von Yolimba all jene Männer über den Haufen schießen, die irgend von Liebe sprechen. Weshalb? Weil Möhringer in der Liebe die Keimzelle allen Übels sieht. Die puritanische Moral lässt grüßen und muss sich gefallen lassen, von Killmayer herrlich ironisch „auf die Schippe“ genommen zu werden.
Die vom Komponisten als gültig angesehene und auch in Münster gegebene zweite Fassung seines Einakters von rund 80 Minuten Spielzeit kam 1970 am Münchner Gärtnerplatztheater heraus, ist aber in den zurückliegenden 30 Jahren kaum einmal irgendwo zu erleben gewesen. Eigentlich schade, denn „Yolimba“ zu sehen und zu hören macht Spaß. Die Musik ist eingängig, ja unterhaltsam (und grenzt sich damit von dem avantgardistischen Mainstream ihrer Entstehungszeit deutlich ab), die zwanzig aneinander gereihten Szenen stecken voller Witz und liefern dem Regisseur (und Münsters Theaterintendanten) Ulrich Peters eine Steilvorlage für großes Amüsement.
Ein ehrbarer Familienvater wird ob seines Liebesbekenntnisses zu Frau und Familie von Yolimba erschossen, später trifft es einen Operntenor, der von „Amore“ trällert. Dann zielt Möhringers Mordmaschine mit einem Mega-Revolver auf gleich drei Polizisten. Aber als es darum geht, den schüchternen Herbert zur Strecke zu bringen, hat Yolimba mentale Ladehemmung – und verliebt sich ihrerseits in ihn, diesen liebenswerten Menschen. Die Hochzeit ist perfekt, der Magier kommt mit seiner zweifelhaften Zauberkunst an seine Grenzen und wird kurzerhand im Orkus der Geschichte entsorgt.
Die ganze Faktur dieser Oper ist allerbestens dazu geeignet, aus ihr ein Projekt zu machen, das am Theater Münster schon seit zwanzig Jahren seinen festen Platz hat: das „TheaterJugendOrchester“. Ein Kooperationskonzept, in dem die gestandenen Theatermacher der kommunalen Bühne inklusive Sinfonieorchester Münster gemeinsam mit Studierenden der Musikhochschule Münster, Schülerinnen und Schülern der Westfälischen Schule für Musik und umliegenden Musikschulen des Münsterlandes eine Opern- und/oder Musical-Produktion stemmen, die dann Bestandteil des ganz regulären Spielplans des Theaters Münster wird. Es wäre interessant zu erfahren, wie viele junge Menschen aus Hochschule und Musikschule auf diesem Weg des „TheaterJugendOrchesters“ über all die Jahre hinweg nachhaltig mit dem „Bühnenvirus“ infiziert worden sind… Einige Akteure jedenfalls sind schon seit Jahren regelmäßig dabei!
Killmayers „Yolimba“ kommt in diesen Tagen eine besondere Bedeutung zu, denn Münsters Musikszene feiert Geburtstage: Sinfonieorchester, Westfälische Schule für Musik und Musikhochschule feiern gemeinsam ihren 100. Geburtstag. Das kommt nicht von ungefähr, denn alle drei Institutionen haben eine einzige gemeinsame Wurzel, die sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte quasi ausdifferenziert hat, aber vor allem in den letzten zwanzig, dreißig Jahren enorme Synergieeffekte mobilisieren konnte. So auch diesmal beim „Yolimba“-Projekt. Im Opernchor: Schülerinnen und Schüler der Musikschulen neben den Profis. Im Orchester: Leute von der Musikhochschule neben den Profis. Am Pult: Münsters Kapellmeister Thorsten Schmid-Kapfenburg, der die Fäden zwischen Orchestergraben und Bühnenbrettern perfekt zusammenhielt. Und dies alles im Großen Haus des Theaters in der kunterbunten, temporeichen Regie des Intendanten. Wenn das kein Zeichen der Wertschätzung ist!
Der Jubel nach der Premiere war riesengroß. Völlig zu Recht. Und es ist zu vermuten, zumindest zu hoffen, dass auch diese Inszenierung wieder Theaterneugier geweckt hat bei denen, die sich im professionellen Musikstudium befinden oder als Musikschülerinnen und -schüler viel Zeit und Arbeit investiert haben.