Foto: Philipp Jekal, Clemens Bieber © Monika Ritterhaus
Text:Joachim Lange, am 26. April 2024
Tobias Kratzer inszeniert Richard Strauss‘ „Intermezzo“ an der Deutschen Oper Berlin. Es sind Momente weg von der Banalität und zudem ein Abend, der bestens unterhält.
Heutzutage braucht es fast schon ein Quantum Intendanten-Mut, um ausgerechnet das Oper gewordene „Intermezzo“ von Richard Strauss in eine Trilogie mit Werken des bajuwarischen Meisters zu integrieren. Übergroß musste dieses Quantum aber auch wieder nicht sein, denn Dietmar Schwarz, der noch bis zum Ende der kommenden Spielzeit die Deutsche Oper Berlin leitet, hat mit Sir Donald Runnicles, dessen Orchester und einem handverlesenen Protagonisten-Ensemble nicht nur alle musikalischen Voraussetzungen, um dieses Risiko einzugehen.
Er ist auch szenisch auf der sicheren Seite, weil er für diese ungewöhnliche Trilogie-Kombination von „Arabella“, „Intermezzo“ und „Frau ohne Schatten“ einen Alleskönner wie Tobias Kratzer engagiert hat. Wohl noch vor dessen Berufung zum Intendanten der Hamburgischen Staatsoper (ab 2025). Neben den Vorbereitungen darauf einen „Ring“ in München zu starten und eine „Frau ohne Schatten“ in Berlin zu stemmen, macht sich nicht so nebenbei.
Strauss‘ private Oper
Dass 1924, als „Intermezzo“ am Schauspielhaus in Dresden uraufgeführt wurde, die beiden populären Einakter „Salome“ und „Elektra“, aber auch der „Rosenkavalier“, „Ariadne“ und die „Frau ohne Schatten“ schon fleißig für Ruhm und Lebensunterhalt des Großkomponisten sorgten, hört man der souverän parlierenden Intermezzo-Musik immer wieder an. Für die Liebhaber des schwelgerischen Richard-Strauss-Tons ist die „bürgerliche Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen“ jedenfalls ein Fest! Eins, bei dem man vor allem dem netten Teil der Verwandten und Bekannten begegnet, die man gerne von Zeit zu Zeit wiedersieht bzw. hört. Aufbruch zu neuen Ufern oder Einbruch der Turbulenzen der Gegenwart gibt es anderswo. Bei Strauss war der Blick in den Abgrund mit den beiden Einaktern abgehakt. Eine erfundene, untergegangene Welt, in der gleichwohl Lebensweisheit und eine innere Freiheit, auch zum Verzicht, zelebriert werden, war mit dem „Rosenkavalier“ längst auf der Welt und in den Herzen des Publikums angekommen.
„Intermezzo“ ist im Kontext der Strauss-Werke ein Schritt zur Seite, ein Durchatmen, der so privat geraten ist, dass man nur über die Offenherzigkeit staunen kann, mit der der Komponist sein eigenes Eheleben hier vor aller Augen ausbreitet. Dafür hat Hugo von Hofmannsthal seinem Komponisten das Librettohandwerk dann doch lieber selbst überlassen. Und so hat der nicht nur drauflos komponiert, sondern auch drauflos gedichtet. Oder besser: vom eigenen Ehealltag abgeschrieben. Und da sein Held, der Hofkapellmeister, Robert Storch heisst, was ja nun nicht meilenweit vom eigenen Namen entfernt ist, hat er sich nicht mal besondere Mühe gegeben, das Selbstporträthafte zu verschleiern. Philipp Jekal ist nicht nur dem Parlandotempo der Rolle gewachsen, er bewältigt auch den Spagat von erfolgreichem Star und genervtem Ehemann, der sich ganz gerne mal ein paar Tage daheim keine klugen Ratschläge anhören will.
Loriot bei Kratzer
Es sind Szenen einer Ehe, die ein ziemlich aufs männliche Genie im Haushalt ausgerichtetes Frauenbild transportieren. Sie liefern aber auch das dauernde Rebellieren dagegen gleich mit. Der berühmte komponierende Hofkapellmeister gerät während einer Dienstreise (unschuldig) in den Verdacht, ein Verhältnis zu haben, während seine Frau (eigentlich beinahe, diesmal aber tatsächlich) eins hat. Wenn auch per Zufall mit einem jungen, smarten (aber etwas naiven und nicht sonderlich hellen) Unfallgegner. In den 13 Szenen gibt es alle möglichen Aufs und Abs. Voller herrlich ausgebreiteter Klischees und Rollen, die man sich vorspielt. Ein Krieg (auch wenn es im Text an einer Stelle mal so genannt wird) ist es aber nie wirklich. Eher ein Versuch, sich selbst zu behaupten.
Das Hinreißende an diesem Abend ist, wie sich Tobias Kratzer die bürgerliche Komödie mit sicherem Instinkt für das Loriothafte der Wirklichkeit zu eigen macht und durchweg einen Handbreit über dem Boden von Bedeutungsschwere schweben lässt. Und, wie er dabei das Selbstreferenzielle auf die Spitze treibt. Sein Ausstatter Rainer Sellmaier hat dafür diesmal einen optischen Rahmen von entwaffnender Schlichtheit geschaffen. Der Zwischenvorhang ist Projektionsfläche für den Blick in den Orchestergraben, um im live produzierten Video, dem Orchester und dem Dirigenten bei der Arbeit zuzusehen. So, dass das Stück „Intermezzo“ diesmal genauso gut „Intermezzi“ heißen könnte. Denn das Orchester spielt durch die Einblendungen zwischen den Szenen diesmal auch auf der Bühne eine Hauptrolle. Ein einfacher, aber geniale Einfall. Der wird dadurch getoppt, dass der Kapellmeister Stroh (Clemens Bieber), mit seinen weißen Haaren Sir Donald Runnicles verblüffend ähnelt. Der war es denn auch, an den das ominöse Briefchen voller Rosenblätter und mit anzüglicher Bitte eigentlich gerichtet war. Frau Christine brachte dieser Brief so auf die Palme, dass sie gleich die Scheidung einreichen wollte.
Spielerische Unterhaltung
Nachdem Christine, aus der Maria Bengtsson mit sicherer Parladoeloquenz und darstellersicher Intensität eine imponierend provozierende Ehefrau macht, schon ihre Treffen mit dem jungen Baron Lummer (Thomas Blondelle mit jugendlichem Charme) mit Salome- und Feldmarschallin-Kostümierung aufgehübscht hatte, griff sie für ihren Notarbesuch, um die Scheidung einzureichen, gar zum Beil der Elektra. In Herbert Wernickes Elektra-Inszenierung ließ Gabriele Schnaut einst immerfort ein solches Mordswerkzeug kreisen – Christine ließ es auf den Schreibtisch des Notars niedersausen. Solch hintersinnig derbe und selbstreferenzielle Einlagen wurden vom Publikum dankbar als Vorlage für Lacher aufgenommen. Auch sonst gab es jede Menge szenischen Witz – in kleiner Münze und in großen Scheinen.
Wenn der Hofkapellmeister auf dem Höhepunkt der Ehekrise, bei dem eigentlich ein Gewittersturm im Prater vorgesehen ist und im Graben tatsächlich tobt und alle Notenblätter von den Pulten weht, fliegt er natürlich mit der Strauss-Airline durch heftige Turbulenzen nach Hause, um das Missverständnis ehelicher Untreue aufzuklären. Bei der großen Versöhnung singt die Ehefrau die ihr zugedachte Rolle jetzt direkt aus der Partitur vor und wirft die dann protestierend zu Boden! Das sind Momente, in denen es Kratzer gelingt, das Ganze am eigenen Schopf aus der Banalität zu ziehen und spielerisch auf ein anderes Niveau zu heben. Alle zusammen kriegen das Kunststück fertig, selbst mit einer Richard-Strauss-Oper, die nun nicht gleich aufs Große und Ganze hinaus will, bestens zu unterhalten. Wer bietet mehr?