Foto: „Die Katze und der General” von Nino Haratischwili am Thalia © Armin Smailovic
Text:Michael Laages, am 1. September 2019
Ziemlich viel Krieg tobt auf deutschen Bühnen – wo immer zum Beispiel (wie am Saisonstart in Wiesbaden und Gießen) „Tyll“ auftritt, jener Eulenspiegel, den Daniel Kehlmanns Roman ja völlig unhistorisch in Folter, Leid und millionenfaches Sterben des 30-jährigen Krieges schickt. Auch Nino Haratischwili lässt im jüngsten Roman, den in Hamburg Haratischwilis treue Theater-Partnerin Jette Steckel zur Uraufführung gebracht hat, speziell kurz vor der Pause derart fürchterlich foltern und morden, das es dem Premierenpublikum glatt den Beifall verschlagen hat. Dabei nimmt „Die Katze und der General“ einige der zentralen Motive wieder auf, die Haratischwili auch mit „Das achte Leben (für Brilka)“ durch die mörderischen Schlachten der Geschichte verfolgte.
Zum Beispiel die Frage, wie sich Leid und Schuld fortsetzen durch die Generationen, erzählte die Autorin (und mit ihr die dramaturgische Aufbereitung für die Bühne am Thalia Theater) in „Das achte Leben“ die Jahrhundert-Geschichte einer georgischen Familie, so stehen jetzt, in „Die Katze und der General“, Töchter und Mütter, vor allem aber die mörderischen Väter im Schlaglicht von Haratischwilis Geschichtsschreibung. Nura, ein tschetschenisches Mädchen mit dem Traum vom fernen Mexiko im Kopf, wird zum Opfer einer entmenschten Soldateska. Sind die Nicht-mehr-Menschen, diese Männer, womöglich gefangen in einer Art Sucht, in der „Krankheit zum Töten“, fragt die Autorin.
Einer der Männer, die dabei waren, fühlt sich schuldig – auch, weil tatsächlich er (das erfährt das Publikum zum Schluss) die junge Frau erwürgt hat, bevor sie noch mehr Vergewaltigung, Folter und letztlich die langsame Abschlachtung hätte erdulden müssen. Dieser Alexander Orlow, damals, 1994, ein einfacher Soldat und Küchengehilfe, will in der Folge sich selber und die Mit-Mörder vor Gericht gestellt wissen. Als das scheitert, lässt er sich mit viel Geld und Macht bestechen, um schließlich selber die Regeln bestimmen zu können, nach denen die Täter (und er selbst auch!) zur Rechenschaft gezogen werden können. Wo Vernunft und Menschlichkeit nicht mehr wirksam werden können, lässt Harataschwili ihn sagen, muss er selbst die Macht ausüben; auch gegen jedes Recht. Orlow, der seit dem Krieg von 25 Jahren „der General“ genannt und zum neurussischen Oligarchen wird, scheitert allerdings – seine trickreiche Verschwörung bis zur Aufspürung der soldatischen Killer von damals gibt der Geschichte die Dramaturgie.
Die ist extrem verschlungen: springt von heute aus zurück und in Etappen wieder in die Gegenwart, von Stadt zu Stadt zwischen tschetschenischen Dörfern, Grosny, Moskau und immer wieder Berlin (wo „der General“ später die Strippen unter Exilanten zieht) bis hin nach Marrakesch, wo einer der Täter von früher heute lebt. Hier zu folgen, ist schon schwierig genug – darum malt immer wieder ein deutscher Journalist, der einst über den „Ge-neral“ recherchierte und nun zu dessen strategischem Werkzeug wird, Jahreszahlen auf die geschickt verschachtelten Wände von Florian Lösches Bühnenbild; außerdem die Namen von Städten und beteiligten Personen, meist in kyrillischen Buchstaben. Auch Bilder der gesuchten Killer werden per Negativ-Folie auf die Wände durchgepaust. So lässt uns Jette Steckels Inszenierung immer wieder dicht dran bleiben an der verwickelten Story; und für die zentralen Horror-Momente, speziell für Folter und Mord, lässt sie viel Nebel hinter einem Gaze-Vorhang auf der Bühne stehen. Für die Vergewaltigung findet sie per Video-Verfremdung sogar ein erstaunlich poetische Bilder …
In all dieser visuellen Kraft gerät ein wenig in den Hintergrund, wie absurd und wenig wahrscheinlich der Plot im Detail gestrickt ist – eine georgische Exilantin im Berlin von heute sieht dem toten Mädchen von damals derart ähnlich, dass „der General“ von heute diese junge Frau, eine Schauspielerin, die sich „die Katze“ nennt, kaufen lässt für ein Video, das die Suche nach den Tätern von damals in Gang bringt. Jedem in der Fabel, auch ihr, dem Journalisten für die Botendienste und mächtig viel weiterem Personal, will Haratischwili nun unbedingt nachvollziehbare Biographien zuschreiben; eine russische Journalistin, die im Tschetschenien der Kriegszeit auch die junge Nura unterrichtet, wird deutlich als Ebenbild der ermordeten Anna Politkowskaja gezeichnet.
Hier verzetteln sich Roman und Stück, doch gerade die Figuren am Rand sind extrem stark besetzt in Hamburg: Karin Neuhäuser als Politkowskaja-Double, Barbara Nüsse als strategischer Helfer für den General. Dem gibt Jirka Zett in unterschiedlichen biographischen Stufen, vom Kind bis zum rächenden Alten, knallhartes Profil; Lisa Hagmeister fasziniert als tschetschenische Nura und später als „die Katze“, Andre Szymanski ist als deutscher Investigativ-Journalist so etwas wie der Erzähler. Aber auch drum herum entwickelt sich enorme Ensemble-Energie.
Einzelne Handlungsstränge in der auf schlaglichtartige Kürzest-Szenen verknappten Dramaturgie führen allerdings eher ins Nichts. Das war schon im Roman ein Problem; auf der Bühne nimmt diese Verschachtelung im Übermaß noch beträchtlich zu. Aber Lösches herauf und herab fahrende Wände halten die Fabel in Gang. Und sogar „Rubik’s Cube“ können wir folgen, einem jener legendären Zauberwürfel (Geschenk der Politkoswkja-Figur an die junge Nura), den das Mädchen im Moment des eigenen Todes tatsächlich richtig sortiert hatte. Zum Schluss, wenn „der General“ ins Nichts fährt, wird er wieder gedreht und – jetzt ohne Lösung. Gibt’s womöglich keine? Nicht in diesem Krieg, dessen Folgen über Jahrzehnte traumatisierten, nicht für die anderen Schlachten, die am Beginn der Spielzeit stehen? Das Theater kann nicht anders – es muss diese Frage stellen; mit Kraft und Stärke und sogar Poesie wie hier in Hamburg.