Foto: Szene mit Stefan Willi Wang und Karen Dahmen © Marion Bührle
Text:Dieter Stoll, am 29. April 2014
Kritik zu Carlo Goldoni „Der Diener zweier Herren“ am Staatstheater Nürnberg
Es ist nicht erlaubt, zwei Herren zu dienen, das wissen wir noch aus dem alten Religionsunterricht. Aber die Bibel hat doch nicht immer Recht, denn nach den neuesten Regeln der Doppelbelastungs-Ökonomie kommen viele Menschen gar nicht dran vorbei, wenn sie in Ehren überleben wollen. Aktuell ist Carlo Goldonis Komödien-Klassiker „Diener zweier Herren“ also allemal – und zwar über das quasi bauchrednerisch hergestellte Magenknurren hinaus, das in Volker Schmalöers Nürnberger Neuinszenierung wie ein Motor für die Handlungen des hungrigen Titelhelden klingt. Stefan Willi Wang spielt ihn, der eben noch als Hamlet zornig über Sein oder Nichtsein grübelte, und schon allein diese Besetzung schien ein Signal zu sein. Es führt auf die falsche Spur. Aber schön der Reihe nach.
Vor dem grasgrünen Zwischenvorhang, der hier wie der karnevaleske Bruder der Brecht-Gardine wirkt, deuten einige schlampig platzierte Liegestühle bereits den gewählten Ort der Handlung an. Der Gastwirt (immer ein Kabinettstückchen-Garant: Pius Maria Cüppers), zuständig für praktizierte Geldgier und honorarpflichtige Intrigen, betreibt offenbar einen Ferien-Club ohne Sternen-Garantie. Die offene Szene von Ausstatterin Valentina Crnkovic zeigt vor wuchernder Fototapeten-Natur inmitten schäbiger Animations-Fläche einen begehbaren Wohn-Würfel. Das Porzellan-Klosett, das anfangs noch wie Sondermüll im Hintergrund zwischenlagert, rückt später in den Mittelpunkt, wenn die Verbindung von großen, kleinen und sonstigen Geschäften bei wechselnden Sitz-Partnerschaften hergestellt wird. Kopfstand im freien Gefäß inbegriffen. Eine Badewanne zum mehrfachen Folter-Tauchen wird auch noch reingerückt. So darf man turbulente Momente der wild entschlossenen Herbert-Fritschisierung des deutschen Theaters beobachten.
Die Nürnberger Textfassung basiert auf einer anderen Größe: Robert Ciullis einst für sein Theater an der Ruhr entstandenes und wohl bis heute als Alternative zur legendären Mailänder Strehler-Produktion bestens zu verstehendes Spektakel. Da geriet der „Diener zweier Herren“ unter Mafia-Beschuss, doch davon bleibt nun gar nichts, denn Regisseur Volker Schmalöer zeigt nicht den Ausnahmezustand unter ausgehöhlter Paten-Herrschaft, sondern die Katastrophe des gelockerten Alltags unter aufgeregten Pauschal-Touristen bzw. -Humoristen.
Es ist ja alles Verwechslung und Missverständnis in diesem Stück, aber eben noch in der allergrößten Zufalls-Anarchie bleibt der scharfe Blick auf die Grimasse der Charakter-Komik hinter der starren Konventions-Maske. Man sieht scheinheilige Trauer (über Tote, die noch leben), ritualisiert plärrende Romantik (mit oder ohne Verkleidung) und unzerstörbaren Geschäftssinn in jeder Lebenslage. Angeheitert von mediterraner Ferienstimmung schnurrt das vom Autor bestens geordnete Durcheinander der Gefühle ab – mit Doppel-Diener Truffaldino im Zentrum, der als Höhepunkt jeder Aufführung seinen zwei konkurrierend gefräßigen Herren, die nichts von ihrer geteilten Arbeitgeberschaft ahnen, mehrere Menügänge gleichzeitig servieren muss.
Stefan Willi Wang ist nicht der raffinierte Spielmacher mit Unglücksfällen, den man in Truffaldino auch finden könnte. Schon gar nicht der umsichtige Rinnstein-Revoluzzer, nicht mal der um Befreiungsschlagkraft bemühte Unterdrückte – er ist einfach sympathischer Tölpel, ein Überlebenskünstler „auf Stütze“. Er könnte auf der Nase seiner Herrschaften tanzen, begnügt sich aber mit etwas abhebendem Gesang und einem qualifizierten Stolpern durch deren Oberschichten-Welt. Wenn er im frisch geklauten rosa Pudding matscht, ist sein höchster Grad der Verzückung erreicht – da wird die Erotik der neu gewonnen Braut aus dem Diener-Stand des anderen Haushalts schwer dagegen ankommen.
Volker Schmalöer lässt zwar aufblitzen, was von Unterwerfungs-Floskeln zu halten ist („Euer Diener“, sagen von Pantalone bis zum Gastwirt alle und machen dazu das LMAA-Gesicht), baut jedoch das Gesellschafts-Panoptikum wie eine dekorative Kulisse um den betont harmlosen Doppelver-Diener herum. Aus dem Comedy-Kollektiv sticht die grell auftrumpfende Josephine Köhler in der Rolle der Mehrfach-Verlobten heraus. Ihre fallsüchtige Clarice garniert auch dramatische Ereignisse mit unendlichen Bubblegum-Knallern und stürzt sogar über die Rampe ins Parkett, wo bei der Premiere Oberbürgermeister Ulrich Maly schon zuvor als Flirt-Partner von Truffaldino gefordert war.
Es gibt in dieser Aufführung einige munter auf die Spitze getriebene Absurditäten wie den schön lachhaften Versuch eines Synchron-Doppelselbstmords, aber der Entertainment-Funkenschlag entzündet keine große Komödien-Flamme. Mittlerer Beifall für einen lauwarmen Spaß.