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Kontrastreiche Szenerie

Reiner Feistel: Das kalte Herz

Theater:Theater Ulm, Premiere:18.04.2019 (UA)Vorlage:Das kalte HerzAutor(in) der Vorlage:Wilhelm HauffRegie:Reiner FeistelMusikalische Leitung:Levente Török

Ulm liegt an der Donau am Rande der Schwäbischen Alb. Auf der Bühne des Stadttheaters ist freilich der Schwarzwald zu sehen – dunkel und tief, geheimnisvoll dräuend, auch mit lichthellen Ausblicken durch ein mit großformatigen Scherenschnitten geschmücktes Fenster-Oval im Hintergrund. In der Bühnenmitte wurzelt ein mächtiger, abgeknickter Baumstamm, der, zuweilen verkohlt oder eisgrau erkaltet, eine sinnfällige Bild-Allegorie darstellt. Denn der Stamm wird auch entwurzelt in den Bühnenhimmel gezogen und auf den Kopf gestellt, wenn Kohlenmunk-Peter als Protagonist der gebotenen Ballett-Erzählung die heimatliche Erdung unter seinen Füßen verliert, sich vom guten Glasmännlein abwendet und vom bösen Holländer-Michel verführen lässt.

Überhaupt passen die Ausstattung von Petra Mollérus sowie alle Elemente und Teile der Choreografie von Ballettdirektor Reiner Feistel stimmig zum Sagenstoff, den die Ulmer Uraufführung von „Das kalte Herz“ (nach Wilhelm Hauffs Schwarzwald-Märchen) in facettenreiche Bewegungssprache verwandelt hat. Der Köhler-Bursche ist unzufrieden mit seiner schmutzigen, anstrengenden Arbeit und träumt davon, anstrengungslos reich zu werden. Das Schatzhauser-Glasmännlein, ein gutmütiger Waldgeist, gewährt ihm zwei Wünsche, nämlich Ansehen im Wirtshaus beim Tanz mit den Mädchen und Geld, hält aber den möglichen dritten wohlweislich zurück. Denn alsbald steigt Peter sein neuer Reichtum zu Kopf. Er will noch mehr haben und tauscht sein lebendig fühlendes Herz für Goldtaler beim Holländer-Michel gegen ein steinernes ein. Seine Mitmenschen, vor allem Lisbeth, ein anmutiges Mädchen, das er geliebt hat und heiratet, haben schwer unter seiner einsetzenden Gefühlskälte und brutalen Rücksichtslosigkeit zu leiden. Wenn da nicht noch der freie Wunsch beim Glasmännchen und das Märchen-Happyend wären…

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Zu einer pulsierenden Collage aus romantisch-tänzerischen Musikstücken (von Schumann, Sibelius, Schubert und Beethoven, aber auch von Pärt, Panufnik und eigens für das Ballett von Hans Peter Preu komponiert), die das Philharmonische Orchester der Stadt Ulm unter der Leitung seines Kapellmeisters Levente Török rhythmisch punktgenau und klangschön interpretierte, präsentiert die Ulmer Tanzcompagnie kontrastreich bunte Märchenszenen – je nach Inhaltsvorgabe mal emotional-dramatisch, mal dunkel und düster oder fröhlich und ausgelassen. Die Abschnitte der Erzählung sind tänzerisch fein ausgearbeitet und fließend miteinander verbunden. Feistel ist ein Kunststück gelungen: Neben lebhaften Ensembles und alle Tänzer(innen) einbeziehenden Reigen wird jede(r) Einzelne zum Solisten und kann zeigen, was in ihm oder ihr steckt.

Gabriel Mathéo Bellucci als Peter Munk ist ein Meister in der Darstellung verschiedenster Charakterfacetten – im gestrickten Bauern-Wämslein traurig-sehnsüchtig, in der golden schimmernden Angeber-Weste überheblich, mal niedergeschlagen, doch schlussendlich mit sich zufrieden. Nora Paneva gibt als Lisbeth im weißen Unschulds-Kleidchen mit dem roten Mieder ein verträumt anmutiges Mädchen und ist in verliebten Glücksmomenten leichtfüßig verspielt. Der gute Geist, das Schatzhauser-Glasmännlein, muss heutzutage weiblich besetzt sein. Jedenfalls agiert Seungah Park in dieser Rolle und im gläsern glitzernden Kostüm mit Charme und Ausstrahlung. Luca Scaduto hat als Holländer-Michel mit der großen Herz-Knopfloch-Öffnung im nackten Oberkörper den Teufel im Leib und versteht es, sich makaber gestikulierend zu verrenken, aber auch energisch kraftvoll zu tanzen. Seinem Titel als unangefochtener Tanzbodenkönig macht Yoh Ebihara alle Ehre: Seine eleganten Sprungfolgen im Kreis und das gute Dutzend hingeballerter Fouettés sind sehenswert. Und die Dorfmädchen (Maya Mayzel, Alba Pérez Gonzáles und Raphaëlle Polidor) verspotten in ihren zartbunten, luftig wehenden Kleidchen auch mal den stolzsteifen, reichen Ezechiel (Edoardo Dalfolco Neviani). Ein komödiantisch-originelles Divertissement gelingt dem ehemaligen Tanzbodenkönig (Gaëtan Chailly), der als arroganter Tanzmeister in eckigen Schrittfolgen seine Ballettschülerinnen vorstellt.

Der Tanzstil, den Feistel seiner Copmpagnie vorgegeben hat, ist modern und ausdrucksstark, aber auch mit halbklassischen Ornamenten und arabesken Figuren durchsetzt, die angenehm für das Auge sind. Auch gibt es Augenblicke, die in die Tiefe gehen. Die Szene mit den holländischen Kaufleuten vor den Schattenriss-Giebeln ihrer mächtigen Lagerhallen oder der von eisigem Nebelschnee verdunkelte Wald mit den in schwarzgraue Kapuzenmäntel gekleideten Akteuren sind Symbol einer kapitalistisch kalten Welt. Das strahlend erleuchtete Schluss-Idyll mit dem neu verliebten Ehepaar versöhnt als Hoffnungsmetapher.