Zu wenig Ernsthaftigkeit: Oliver Meskendahl und das Laien-Ensemble in der Osnabrücker "Menschenfabrik".

Konsequenzfrei

Nach Oskar Panizza: Die Menschenfabrik

Theater:Theater Osnabrück, Premiere:06.09.2019 (UA)Regie:Jakob Fedler

Im Gegensatz zur anachronistisch analogen Intelligenz erblüht die künstliche (KI) immer schlauer. Ein Grund zur Panik, dass mit ihren Fähigkeiten auch das Selbstbewusstsein wächst und die KI das Mängelwesen Mensch bald aus der evolutionären Schöpfungsgeschichte eliminiert? Ein Grund zur Freude, sich nun im ewigen Urlaubsmodus zurücklehnen und alle Arbeit an die Maschinenwesen delegieren zu können? Sowohl als auch? Um diesen Diskurs mal wieder bühnenwirksam anzuregen, stürzt sich das Theater Osnabrück zur Eröffnung des 8. Spieltriebe-Festivals, Thema: „Mensch®“, auf Oskar Panizzas Kurzgeschichte „Die Menschenfabrik“ (1890). Eine Warnung vor dem Verschwinden des Menschlichen hinter der Funktionalität des arbeitenden Körpers – in einem perfekt dahinratternden, seelenlosen Dasein. Zu lesen auch als frühes Statement gegen das Klonen und die Manipulation des Erbgutes.

Jakob Fedlers Inszenierung beginnt wie die Vorlage mit dem Auftritt eines mitternächtlich  herumirrenden Ich-Erzählers. Er sucht Obdach. Klopft an eine Pforte und ihm wird aufgetan. Realistisch geschildert öffnet sich nun die Welt des Fantastischen. Fans des Gruselgenres erwarten Gänsehautmomente. Aber kein Frank N. Furter lässt jetzt die Travestie tanzen, sondern der Muffel Roland (Funke) trottet herbei und antwortet auf die Frage, was denn das für ein Haus sei, es würden dort Menschen wie Brot gebacken. Replikanten für den Hausgebrauch. Industriell produziere man sie gleich komplett mit Kleidung, die nie gewechselt werden müsse. Ganz geheim werde so nicht die Weltherrschaft vorbereitet, sondern ganz offiziell schamlos viel Geld verdient. Das neue Modell, Typ Chinese, sei gerade der Verkaufsrenner, sagt Roland. Dieser Einführung entspringt ein Disput, ob die Roboter auch denken, empfinden, fühlen können. „Haben wir glücklich abgeschafft“, so Roland. Wichtig sei Stabilität durch ein unverändertes Ausdrucksrepertoire. Moral? Ständig verbesserte Algorithmen reichten zur Steuerung. Und wie steht‘s mit der Willensfreiheit? Die sei ja schon bei den Menschen ein Hirngespinst. Aber so richtig in die Diskussion kommen der stoisch gelangweilte Fabrikant und der Wanderer nicht. Sie scheitert schon an seinem Auftritt. Oliver Meskendahl spielt wie ein Comedian, der zu viel Pumuckl geguckt hat. Er verkaspert die Angst-und-Schrecken-Angebote der Rolle und ist als Gestenzappler eher nervtötend. Beide Schauspieler verharren in ihren Rollensetzungen als aufgedrehte und ausgeleierte Aufziehpuppe. Damit die Aufführung nun nicht im Leerlauf rotiert, bricht Fedler die Panizza-Dramatisierung ab. Und lässt die Produkte der Menschenfabrik auftreten.

14 Osnabrücker Laien, billigblond perückt und trutschig mit einer Art Gardinenvorhang uniformiert (Kostüme/Bühne: Dorien Thomsen), trippeln als frisch vom Band gelaufenen Puppen mit mechanischer Beschwingtheit auf die Bühne. Hinreißend! Und mindestens so putzig wie die Minions. Wohl von einem Zufallsgenerator initiierte Hüpfer gehören zum Bewegungsrepertoire. Ebenso Winke-Winke, dauerdämliches Grinsen und Handküsschen. Jedem Menschen wird ein „Hallo, ich liebe dich“ entgegenschleudert. Auch die Noten ihres binären Codes, 1 und 0, wissen die Puppen chorisch darzubieten. Wenn mal jemand aus den schlichten Verhaltensmustern fällt, etwa seine Arbeit als „völlig sinnlos“ erkennt, piept es „Fehler!“ aus den Körpern. Der Korrekturmodus wird automatisch aktiviert. Bald formieren sich die Homunculi zu einem pittoresken Gruppenbild: „Wir sind ein Netzwerk.“ Da könnte man doch auch noch ethische Grundsätze implementieren, denkt Meskendahl. Mit klassischen Ententanz-Moves gibt er den Einpeitscher, lässt Publikum und Puppendarsteller auswendig lernen: „Was du nicht willst, was man dir tut, das füge auch keinem anderen zu.“ Das skandieren schließlich alle geistlos strahlend. Eben unverstanden, folgenlos. Und so geht es leider weiter.

Nach und nach lupfen die Darsteller mal ihre Perücke und spielen sich selbst. Soll das heißen, alle Osnabrücker sind Maschinenmenschen und müssten sich humanisieren? Jedenfalls skandieren sie nun abwechselnd in direkter Publikumsansprache, was sie so zu Zukunft, Klimawandel, Selbstoptimierung denken, berichten von Ängsten vor der totalen Kommunikation in der totalen Transparenz des Online-Lebens. Artikulieren auch Rechtspopulistisches zum Thema Europa. Und agitieren gegen Facebook und Google. Franzi könnte sich beispielsweise vorstellen, dass Menschen nach dem Tod „ins Weltall gelangen und auf anderen Planeten leben“, aber auch dass „die Tiere nicht mehr für uns, sondern mit uns leben.“ Fahrhad meint: „Wenn der Mensch chemische Fabriken aufmacht, kann er nicht gleichzeitig das Klima schützen.“ Youssef sagt: „Liebe bleibt Liebe.“ Der Syrer Sohel überlegt: „Was wird aus den Kurden?“ Raven muss zugeben: „Alles was ich über das Netz weiß, weiß ich aus dem Netz.“ Milena und Denise preisen Puppe als Lebenspartner, Mannsbilder aus Muskelfleisch und Testosteronblut seien doch viel zu anstrengend.

Schön wäre es gewesen, wenn Fedler als Moderator fungiert, die Aussagen ordnet, reflektiert  und mit einem schlüssigen Regiekonzept zusammenbindet. Passiert aber nicht. Es reihen sich Statements und Schnipsel szenischer Ideen aneinander, musikalische, choreografische und auch eine akrobatische, als Meskendahl über der Bühne baumelt und in Supermann-Pose „Ich bin ein Individuum“ brüllt – wider die lustige Androiden-Armee. Panizza war nur Appetitmacher, sein Text geht bald völlig verloren. Ihn mit einer Bürgerbühnen-Performance zu überschreiben, hat wenig nahrhafte Effekte. Der Abend wirkt einfach – unfertig.