Verpuffte Relevanz
Dennoch widmet sich nun Falk Richter dem Stück an den Münchner Kammerspielen, fügt den drei Bernhardschen Akten einen eigenen hinzu und lässt Lion Bischof Video-Collagen aus historischen und aktuellen Nazi-Auftritten erstellen. Bischof schneidet Hitler und AfDler, Nazi-Aufmärsche und Anti-Corona-Demonstrationen, antisemitische Terrorakte, Franz Josef Strauß und den NSU zusammen zu einem Konglomerat des rechten Grauens. Dass die Realität nicht ein „Nie wieder“, sondern eher ein „Immer wieder“ ist; dass die Aufarbeitung rechter Gewalt nicht nur im Falle des NSU zu wünschen übrig lässt – all das lässt Richter in seinem Zwischenstück nochmal von Bernardo Arias Porras, Knut Berger und Anne Sophie Kapsner durchdeklinieren. Medienschelte inklusive. „Nichts haben sie bewältigt“, heißt es da. „Nicht die Vergangenheit und nicht die Gegenwart!“ Und: „Die Deutschen wurden nie befreit von den Nazis, die Deutschen waren die Nazis.“ Im Zuschauerraum sitzen zwischen dem corona-bedingt sehr ausgedünnten Publikum weiße Gipsköpfe, manch ein Gesicht zum wütenden Schrei gefroren. Bühnenbildner Wolfgang Menardi dehnt das Geschehen in den Zuschauerraum aus, der gewissermaßen selbst zum Heldenplatz wird. Eine Fortsetzung der Bühne, die mit lackroten und -schwarzen Vorhängen sofort an Hakenkreuze und Reichsparteitag-Inszenierungen denken lässt. Merke: Die Nazis sind mitten unter uns. Die Schuhberge auf dem Boden wecken Holocaust-Assoziationen, die Farben sind die des Nationalsozialismus. Das alles ist sehr groß. Vielleicht zu monumental, um wirken zu können. Denn bei Bernhard marschieren keine Nazis auf, er zeigt den Schatten des Großen auf die kleine Welt der Familie.
Leider ist der erhobene Zeigefinger irgendwie das Leitmotiv dieses Abends, das Geschehen auf der Bühne bleibt sehr weit weg. Ja, das alles ist wichtig und richtig. Das Thema ist relevant, die Anklage gerechtfertigt. Richters Wut auf die Kontinuität des Rechten in Deutschland wie in Österreich teilt man gerne. In dieser Inszenierung fehlt aber einiges. Bei Bernhards Texten sehnt man sich nach Aktualität, bei Richters nach Dramatik. Und ein bisschen auch nach einem Skandal.