Die Spaltung des Landes Kroatien in jene, die dem späteren Staatschef Tito folgten und den Getreuen der rechtsradikalen Ustascha. Die Geburt Jugoslawiens unter dem Hoffnungszeichen des Kommunismus. Der Zusammenbruch Jugoslawiens und der darauffolgende Bürgerkrieg. EU-Beitritt, Entsolidarisierung einer Gesellschaft und eine marktwirtschaftliche Kolonialisierung, die Familien, Freundschaften, Nachbarschaften von innen heraus zerstört. Männliche Gewalt. Ins Ausland Abgewanderte, die das Fremdsein in ihr eigenes Land reimportieren. Männer, die ihr Leben im Krieg für ein Land einsetzen mussten, das ihnen andere währenddessen weggekauft haben: Tena Stivicics Text erzählt von vielem, und trotz dieser Vielheit ensteht ein konzentrierter, fesselnder, gut dreistündiger Theaterabend. Denn der Text und seine inszenatorische Umsetzung packen zu wie eine Faust am Kragen – und schütteln das Publikum durch.
Alle Handlung spielt sich ab an drei Wintern in einem Haus in Zagreb, das die Kos bewohnen. Dessen Bild wird, zusammen mit Ansichtskarten, Familienfotos, dokumentarischen Filmschnipseln, Schneegewaber, immer wieder in den Umbaupausen zu Musik mit Mut zum Kitsch auf einen Vorhang projiziert; Kadenzen werden so gesetzt, Handlungsstränge rhythmisiert. Auf der Bühne (Ausstattung: Tanja Hofmann) setzen Requisiten die Zeichen der Zeit: Singer-Nähmaschine, kleiner Fernseher, Großbildschirm. Alles mit großem Realismus-Wert. Dazwischen entwickeln die Spieler ihre Figuren, lassen sich alle Zeit, die es braucht, um deren Erfahrungen kenntlich zu machen, Beziehungen zwischen Mensch und Mensch, zwischen einst und heute.
Dieses permanente innere und äußere Gedeihen und Verderben der Figuren ist das eigentliche Movens dieses textreichen Stücks, und nach der Pause ist dann soviel Kenntnis des Personals und ihrer Umstände hergestellt, dass sich nahezu zwangsläufig allerlei glänzende Dialoge ergeben, die sogar Szenenapplaus einfordern. Denn so ruhig und unaufgeregt lässt Broll-Pape diese Bühnengeschichte angehen, dass es allein der Text ist, der manchmal regelrecht brüllt. Die Bühne trägt den Text zum Glanz, und das auch, weil die Darsteller ihre Figuren mit einer Würde ausstatten, die Wertschätzung fast erzwingt. Es ist da kein Mensch ohne Schatten zu sehen, aber alle stehen im Licht der Menschlichkeit.
Und wenn da nun Volker Ringe als aufrechter, aber gescheiterter, liebenswert gestriger Familienvater Vlado im Pyjama-Nachtgespräch mit Katharina Brenner als seiner tapferen, vom Leben abgefieselten Frau Mascha über eine bevorstehende Hochzeit spricht, dann erlebt man so ein meschliches, zutiefst anrührendes Kondensat einer Ehe, geführt zwischen der Selbstverständlichkeit und der Unmöglichkeit von Glück. Und wenn die Schwestern Alisa und Lucija Kos sich streiten über die wahre Kunst des Daseins und über ethische versus erfolgreiche Lebensführung, dann treffen da mit Ronja Losert und Pina Kühr zwei junge Schauspielerinnen aufeinander, die ihre Figuren ausstatten mit Klasse, Wucht, Präsenz. Denn es braucht starke Schauspielerinnen, um die Stärke jener kroatischen Frauen zu demonstrieren, an denen die Geschichte ihres Landes sich abarbeitet. Nach „Drei Winter“ weiß man darüber definitiv mehr.