Ganz am Ende ist die Bühne gedreht; die große, mit Vorhängen immer wieder zu- und aufgezogene Öffnung des Hauses zur Terasse zeigt nun nach hinten. Und da geht in Form eines großen Scheinwerfers die Sonne auf; durch den Raum mit den verbliebenen Gestalten des Familiendramas hindurch blendet das Licht das Publikum im Parkett. In den knapp drei vorangegangenen Stunden sind solche Eindeutigkeiten der Regie eher die Ausnahme. Nora Schlocker inszeniert die Uraufführung von Ewald Palmetshofers „Vor Sonnenaufgang“ ohne Überspitzungen, nah am Text. Und diese Neudichtung reduziert Gerhart Hauptmanns gleichnamiges Drama, das am Beginn des Naturalismus im deutschen Theater steht, auf eine sprachlich ausgetragene Krise einer Allerwelts-Mittelstandsfamilie von heute: keine neureichen, dem Alkohol verfallenen schlesischen Bauern, die vom Weltverbesserer Alfred Loth heimgesucht werden; vielmehr trifft Loth (Simon Zagermann) seinen ehemaligen Zimmergenossen aus dem Studentenwohnheim Thomas Hoffmann (Michael Wächter) und verunsichert diesen schon dadurch, dass er kein klares Motiv für den unverhofften Besuch zu haben scheint.
Anfangs ist Hoffmanns neue Familie ganz auf die bevorstehende Geburt durch seine Frau Martha (Myriam Schröder) fixiert; ihre Schwester Helene (Pia Händler) ist vorerst wieder zu Hause eingezogen, Vater Krause (Steffen Höld) mag ein Problem mit Alkohol haben, doch verhält sich Stiefmutter Annemarie Krause (Cathrin Störmer) nicht nur dem unerwarteten Gast Loth gegenüber freundlich und ausgleichend. Die ersten Szenen wirken (hinter der hochgezogenen Frontwand, Bühne: Marie Roth) in der senfgelben Wohnschachtel wie sprachlich ambitioniertes Boulevardtheater: Familienglück mit kleinen Macken.