Am Ende stehen aber nicht nur einige Streitereien sowie die womöglich gescheiterte junge Liebe zwischen Helene und Loth, sondern eine Totgeburt und damit auch die Verschärfung von Marthas Depression. Der Journalist Loth suchte beim Freund vergangener Tage nach den Ursachen für den Hass in der Gesellschaft: „wir driften / auseinander / ich red nicht nur von uns / die Menschen / alle“. Hoffmann rechtfertigt sich in der zentralen Szene für sein (populistisches) politisches Tun: „das Leben ist so undeutlich / da müssen unsere Geschichten nachhelfen“. Nur fake news sind gute Nachrichten? Dichter Ewald Palmetshofer will jedenfalls nicht solche Geschichten erzählen, sondern eher wie Journalist Loth gesellschaftliche Hintergründe beleuchten.
Die bei Hauptmann intensive Verknüpfung von atemberaubendem Geschehen und Äußerungen der Figuren wird so bei Palmetshofer zum komplexen Gedankenaustausch sehr selbstreflektierter und sprachbewusster Personen. Dieser Komplexität des neuen Stücks folgt Schlockers Inszenierung im modellhaften Wohnhaus. Dabei kann sie auf das souverände Ensemble vertrauen. Besonders Michael Wächter als freundlicher Unsympath und Thiemo Strutzenberger als der an der menschlichen Natur verzweifelnde Arzt Schimmelpfennig spielen die Zweifel an ihrer Rede – und damit ihre inneren Kämpfe – beeindruckend mit. Bei aller Spannung, die so entsteht, bleiben die Komplexe hinter den Mauern einer ziemlich normalen Familie in der ersten Inszenierung dieser Neuauflage von „Vor Sonnenaufgang“ ziemlich komplex im Sprachkammerspiel aufgehoben.