Foto: "Medea" am Theater Augsburg © Nik Schölzel
Text:Vesna Mlakar, am 19. April 2015
Anmutiger kann man sich Verdrängung von Schuld und Schmerz kaum denken: Als Yun-Kyeong Lee – eine wunderbar verzweifelt-fatal blickende Medea – sich dicht vor den Augen des Publikums in einem Zuber sorgsam Hände und Arme wäscht, hat sie nicht nur die junge Rivalin Glauke (Laura Armendariz) umgebracht, sondern – verpackt in ein Ritual von Andeutung – auch ihre beiden Kinder. Langsam lässt sie das Wasser in den an der Rampe eingelassenen Wassergraben fließen, der ihr in wohlgesetzten, eindrücklichen Bewegungsregungen Wegweiser in ein neues Leben und poesievoller Tröster für die aufgewühlte Seele ist. Nur noch Jasons (Joel Di Stefano) markerschütternde, sich einige Male wiederholende Schreie durchbrechen die räumlich durch einen dünnen Vorhang abgesteckte Grenze zwischen der aus Rache totbringenden Frau und dem aus politischem Kalkül agierenden Mann. Brutale Entzweiung, die bei Angel Rodriguez in einem berührenden, dabei höchst konzentrierten Ende gipfelt.
Schon am Tiroler Landestheater bewies der u.a. von Nacho Duato geprägte Katalane mit zwei Produktionen seinen choreographischen Spürsinn fürs Tragisch-Dramatische. So wühlte er in „Das brennende Dorf“ (2012) den fröhlichen Alltag einer kleiner Kommune durch Krieg heftig auf und machte Liebe und Tod auch in „Last Words“ (2013) zu emotionalen Leitfäden seiner Interpreten. Ballettchef Robert Conn ist es nun zu verdanken, dass Rodriguez erstmals ein Stück in Deutschland kreiert. Schnell einigte man sich auf den mythologisch gut bekannten Stoff der „Medea“. Und Rodriguez nutzte seine Chance, um in einer musikalisch von Mozart bis Arvo Pärt, Elektro-Schnaufern und vokalen Momenten (im ersten Teil fast zu) reich collagierten Produktion (Übergänge: Jesús Rubio García-Noblejas) das innere Toben der faszinierenden Frauenfigur inmitten eines (teilweise mit Masken) chorisch funktionalisierten Ensembles choreographisch-tänzerisch herauszuarbeiten. Die Premiere am 17. April auf der Augsburger Brechtbühne geriet zum gefühlskompakten Erlebnis.
Ohne Umschweife stürzt Medea die Zuschauer in medias res. Ihr leises solistisches Entree ist die heftige Befindlichkeitsklage einer Abservierten. Lediglich hinter oder unter dem Vorhang hervorbrechende Flashbacks verweisen auf die glückliche Vergangenheit – verkörpert durch das auch später immer wieder schlaglichtartig in Erscheinung tretende junge Paar Ana Dordevic und André Silva. Zwar unterscheidet sich die körperliche Qualität ihrer Beziehungsduette nur wenig von derjenigen des etwas aggressionsgeladener aufeinander prallenden Hauptpaares. Dennoch wird, besonders in jener Passage, wo Medea und Jason sich an einem Tisch vereint gestisch fetzen, die Gleichzeitigkeit der Empfindungen deutlich, die die verlassene Geliebte umtreibt.
Eine fünfköpfige Gruppe packt minutenlang ihre maskulin-archaische Power in ein volkstanzartig kräftiges Schrittvokabular mit eckigen Armen, zuckenden Schultern, Grimassen und breitbeinig kantigen Hüpfern. Die zu Klavierklängen spiegelbildlich ausgeführten Variationen der fröhlichen Kinder erinnern an Illustrationen alter Spielbücher. Nahezu farblos dagegen und mit einem mobilen Brückengerüst auf Raumwirkung reduziert ist die vom Choreographen gemeinsam mit Andrea Kuprian-Maier (Bühne) und Marco Vitale (Licht) geschaffene Umgebung. Luftige, manchmal in den Tanz einbezogene schwarze und weiße Vorhänge dominieren das in dämmriger Atmosphäre gehaltene Ambiente. Glaukes Ringen mit dem Tod auf erhöhtem Podest und sich weit aufbauschenden roten Rocktüchern wird darin zum visuellen Knalleffekt, ebenso wie Medeas danach blutgetränkte Hände. Mehr Eyecatcher braucht ein Werk wie dieses, das durch seine Interpreten lebt, auch nicht. Ein Bravo für Augsburgs tolle Compagnie!