Foto: Normen (Sven Prietz) inmitten der Mitspieler. © Hans Jörg Michel
Text:Björn Hayer, am 3. Juni 2013
Wie wird ein Mensch zu dem, der er ist? Und vor allem: Wie wird man zu einem kapitalistischen Ausbeuter? Diese Fragen beschäftigen Philipp Löhle in seinem neuen Stück „Du (Normen)“, das just in einer lustvollen Uraufführung, hervorragend inszeniert von Katrin Lindner, am Mannheimer Nationaltheater auf die Bühne gebracht wurde. Schon der Titel weist auf die eigentlich untheatralische Narration, die sich um den Protagonisten Normen (Sven Prietz) legt. Zu Beginn ist er nämlich ganz Objekt, bestimmt von der Du-Ansprache, die verschiedene Erzähler gebrauchen, um seinen Lebensweg nachzuzeichnen. Daher steht er anfangs auch völlig verloren im Bühnenzentrum, während dessen seine Mutter (Anke Schubert) die Geschichte bis zu seiner Geburt ausbreitet. Dazu holt sie weit aus: Begonnen bei der Ursuppe über die französische Revolution bis zu Normens Zeugung in einer Flugzeugtoilette wird dem Zuschauer eine lockere Tour d’ Horizon durch die Welthistorie geboten, welche die übrigen Akteure munter die mal als grunzenden Affen, dann als Freiheitskämpfer kurzweilig bebildern.
Es sind eben jene kleinen improvisatorisch wirkenden, spontanen Rollewechsel, die das ganze Stück beleben und mit minimalistischer Requisite auf bekannte Klischeetypen anspielen, auf die Normen in seinem weiteren Dasein treffen sollte. Da ist der leidige Ziehvater Lutz (Kaus Rodewald), den der heranwachsende Bengel nur mäßig akzeptiert, da ist die naive Weltverbessererin Lena (Sabine Fürst), Normens spätere Zweckehefrau und dann die ganzen Kumpanen in der Studienzeit, darunter der versoffene Bremer, ein klassischer Old-School-Biostudent im höheren Alter, die verführerische Femme fatale Lydia (eine famosen Dascha Trautwein) und René. Indem Normen bald beginnt, Letzterem Probanden für heikle Medikamententests zu besorgen, geht er seinen ersten Pakt mit dem Teufel ein. Von nun an entspinnt sich die Laufbahn eines eiskalten Kapitalisten, der als Steuerhinterzieher und Betreiber von Textilfabrik mit indischen Kinderarbeitern zuletzt nicht einmal davor zurückschrecken sollte, die eigene, entführte Tochter aus Geiz zu opfern.
Im Hintergrund der Kulisse deutet sich schon seit der ersten Szene ein idyllisches Naturpanorama als vorausweisender Gipfelpunkt von Normens Spekulantenkarriere an. Es der Blick auf dessen Haus am See – ein schillerndes Domizil, das mit dem Blut vieler Gestrauchelter abseits von Normens Ausbeutungsfeldzugs befleckt ist. Zieht das Stück zwar zumeist in leichter Slapstick vorüber, brechen doch auch stets Schreckensmomente herein, beispielsweise, wenn Normens Freund Benny einen folgenreichen Schock infolge des Medikamententests erleidet. Am Ende werden die Medien den Unsympathen verreißen. Für einen Egospieler wie ihn, heißt das jedoch nur: Weitermachen. Was kostet ihn schon die Welt…
Vor allem der spitzfindige Text, der von der Karikatur bis zu dunkelster Abgründigkeit reicht, macht diese Aufführung zu einem Feuerwerk der Pointen. Philipp Löhles Gesellschaftskritik ist geladen mit Biss und Genialität. Damit gehört er ohne Zweifel, wie er es schon häufiger beweisen durfte, zu den exzellentesten Komödienschreibern unter den jungen, deutschen Dramatikern.