Dshamilja Kaiser als Penthesilea

Kollektiver Opernrausch

Othmar Schoeck: Penthesilea

Theater:Theater Bonn, Premiere:15.10.2017Regie:Peter KonwitschnyMusikalische Leitung:Dirk Kaftan

Peter Konwitschny inszeniert fulminant „Penthesilea“ von Othmar Schoeck an der Bonner Oper.

Was für ein Abend! Am Ende ist man einfach erschlagen, erschlagen von einer gewaltträchtigen Handlung, unglaublich präsenten Darstellern, einer ebenso reduzierten wie verblüffenden Inszenierung und eindrucksvoller Musik. Keine Frage, die Premiere von Othmar Schoecks Oper „Penthesilea“ an der Bonner Oper ist ein großer Wurf, ein kollektiver Opernrausch, der mit irrwitziger Geschwindigkeit und unfassbarer Wucht vorbeizieht.

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Gerade einmal 90 pausenlose Minuten dauert das Werk, doch die Geschichte der Amazone Penthesilea, die ihren Gegner Achilles trotz dessen Liebe zu ihr im Kampfesrausch abschlachtet, wird in Peter Konwitschnys Inszenierung derart temporeich und spannungsvoll erzählt, dass man am Ende konsterniert zurückbleibt. Das ist in erster Linie dem ausnahmslos herausragenden, mit großer Präsenz agierenden Ensemble zu verdanken, das durchweg ausgezeichnet besetzt ist, allen voran Dshamilja Kaiser als Penthesilea und Christian Miedl als Achilles: beides großartige Stimmen und in jeder Hinsicht überzeugende Akteure in einem Drama, das an Tempo und Heftigkeit kaum zu überbieten ist.

Schoeck, der das Libretto zu seinem Werk selbst verfasst hat, hat Heinrich von Kleists Trauerspiel radikal eingedampft und auf den Kern verdichtet: eine Geschichte von Liebe und Hass, von Vertrauen und Missverständnissen. Dieses dramaturgische Konzentrat wird in Peter Konwitschnys Inszenierung noch einmal verdichtet – durch eine radikale Reduktion auf das Wesentliche. Die Bühne ist auf eine über den Orchestergraben hinweg und in den Zuschauerraum hinein gebaute quadratische Fläche verlegt, Kulissen im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Nur zwei Flügel, die von den beiden szenisch wie dramaturgisch eng eingebundenen Bühnenpianisten (ausgezeichnet: Lucas Huber Sierra und Meri Tschabaschwili) bespielt werden, fungieren auch als mobile multifunktional genutzte Bühnenmöbel.

Das Orchester findet sich angesichts dieser Konstellation auf ein Podest im hinteren Bereich der Bühne verbannt. Zwischen Orchester und Spielfläche sowie darum herum sitzt das Publikum, ein Szenario wie bei einem Boxkampf. Das funktioniert auch im Zusammenspiel mit den Sängern akustisch wie musikalisch ausgesprochen gut, zumal das Beethoven Orchester Bonn unter Dirk Kaftans überaus konziser Leitung mit großartiger Präzision und Wucht spielt. Schoeck hat für seine Oper ein üppig besetztes, durch den Verzicht auf Tutti-Violinen allerdings klanglich mattiertes Orchester disponiert. Die hochexpressive Musik ergeht sich zuweilen in postromantischer Fulminanz, zumeist jedoch unterstreicht sie das dramaturgische Geschehen durch wuchtige Klangattacken von einiger Schärfe. Das wird durch das Beethoven Orchester mit größtem Nachdruck und absolut vorbildlich vorexerziert. Das klangliche Ergebnis ist in jeder Hinsicht fesselnd.

Sängerisch sieht es nicht anders aus. Dshamilja Kaiser als Penthesilea und Christian Miedl tragen die Handlung musikalisch wie dramaturgisch, Aile Asszonyi (Prothoe), Ceri Williams (Oberpriesterin) sowie Kathrin Leidig, Marie Heeschen, Johannes Mertes, Christian Specht und Brigitte Jung stehen dem durch sie gesetzten Standard in nichts nach. Herausragend auch der von Marco Medved einstudierte Chor des Theaters Bonn. So eine atemberaubende und doch kultivierte Wucht erlebt man nicht alle Tage. Vor allem die tumultartig wirkenden und doch sehr präzise durchchoreografierten Kampfszenen entfalten eine eindrucksvolle Kraft und großartige Spannung.

Ein interessanter Kunstgriff der Inszenierung ist das abschließende Auftreten von Penthesilea als Konzertsängerin, so als ob sie sich selbst der Geschichte entziehen und gleichsam von ihrer blutrünstigen Tat distanzieren oder vor ihr fliehen würde. Konwitschny zieht sich hier durchaus gekonnt aus der Affäre und offenbart zuweilen sogar Sarkasmus und durchaus auch Humor: das nur als Bericht zu hörende und nicht gezeigte Abmetzeln des Achilles durch Penthesilea wird „nur“ als sensationslüsterner Live-Report in Szene gesetzt, ein näselnder Bote des Achilles wird zuvor von der Titelheldin gewitzt parodiert. Alles in allem ist diese Inszenierung bei aller radikalen Zuspitzung der szenischen und dramaturgischen Vorlage auch eine mit Pfiff gewürzte Mischung, die nicht nur einen brillanten, sondern auch einen unterhaltsamen Opernabend bietet.

Eine gewisse Symbolkraft kommt im Übrigen dem Einstand des gerade erst installierten Bonner GMD Dirk Kaftan zu: den konzertanten Einstand mit dem Beethoven Orchester feierte er zusammen mit der kölschen Kult-Band Bläck Föss mit einem bewusst niederschwelligen Programm in einem Bierzelt auf der Kirmes Pützchens Markt. Im Opernhaus nun das andere Extrem: ein intellektuell wie musikalisch anspruchsvoller Stoff, herausragend inszeniert und musikalisch interpretiert. Nachdem die Bonner Kulturpolitik in den letzten Jahren eher mit Schlagzeilen der Kategorie „Pleiten, Pech und Pannen“ in den Medien vertreten war, könnten die Impulse Kaftans in diesem konfliktträchtigen Spannungsfeld, das nicht zuletzt durch die von der Politik eifrig befeuerte Konfrontation von Kultur und Sport zuweilen eher ein Minenfeld war, der geplagten Kulturszene wieder einmal neue, positive Impulse verschaffen.