Foto: Einklang von Tanz und Musik: Ivo Nitschke und Dalier Burchanow © Anna Kolata / Theater, Oper und Orchester GmbH Halle
Text:Ute Grundmann, am 8. Mai 2020
Wie Zahnräder greifen die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer ineinander. Sie stampfen, schlendern, trippeln, stellen ein Bein aus, heben langsam die Arme. Sie marschieren in Reihen gegenläufig über die Bühne, erstarren, fallen – angetrieben und angefeuert von den flinken, oft harten Schlägen auf Drumset und Vibraphon. Diese Instrumente stehen beim in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlichen Tanzabend von Ralf Rossa im Mittelpunkt, Ralf Schneider am Schlagzeug und Ivo Nitschke an Vibra- und Marimbaphon, der auch die Klänge zu „Groovin‘ Bodies“ komponiert hat.
Sebastian Hannaks Raumbühne „Heterotopia“ bringt dazu in der Oper Halle alle gleichberechtigt zusammen: Tänzer, die Schlagwerker der Staatskapelle Halle und das Publikum. Keine Rampe, kein Graben trennt, die Tänzer in diversen, legeren Kostümen (Mechthild Feuerstein) bewegen sich zeitweise buchstäblich vor den Füßen der Zuschauer. Und das, im furiosen ersten Drittel, als – wenn auch nicht immer geschlossene – Gruppe. Wenn eine Tänzerin am Boden liegt, zieht ein Tänzer sie weg wie einen Störfaktor, die anderen tanzen ungerührt weiter. Nach solcher Aggression werden sie kurz darauf fröhlich wie in einer Disco swingen, klassische Pas-de-deux-Zitate (Pirouetten, Hebungen) folgen. All das sind bewegte und bewegende Körper im Stakkato der Klänge.
Zu sehen ist der Mitschnitt einer Aufführung am 3. November 2017, bei der die Kamera meist dokumentarisch still- und in der Totale das Geschehen festhält. Nur ab und zu hebt sie eine Tänzerin, einen Tänzer heraus – oder Ralf Schneider und Ivo Nitschke. Was diese beiden an Klangvielfalt, -varianten, Drive bieten, ist außergewöhnlich – und auch optisch reizvoll, wenn Nitschke rote Klöppel auf blauschimmerndem Instrument tanzen lässt.
Doch dann kommt der Bruch, fast wirkt er wie der Shutdown, den wir gerade erleben. Die Tänzerinnen lagern auf der Bühne, die Hände wie weinend vor den Gesichtern. Geräusche, fast unhörbare Schläge wecken sie langsam, sie wiegen sich graziös zu einem Kreis zusammen. Bald sitzen sie auf Stühlen, schminken und stylen sich, für die Männer, die hereinstürmen und -springen. Nun sind Rossa und „Groovin‘ Bodies“ beim ewigen Thema Mann und Frau: mit Augenzuhalten, Heben, Tragen, Schmiegen und sechs Paaren, bei denen die Männer sich die Frauen zuwerfen. Diese Szenen sind, tänzerisch wie musikalisch, eher magisch-meditierend, auf der Leinwand im Bühnenhintergrund werden Ausschnitte verdoppelt und vergrößert.
Stille und Stillstand gehören zu diesem Abend unbedingt dazu, doch dann aber macht sich das Schlagwerk wieder vernehmbar. Nach einem Trommelwirbel steigern sich Drums (links) und Marimbaphon (rechts) zur Rasanz des Beginns. Die Tänzer reagieren darauf mit Ruhe und Tempo, zelebrieren große Schritte, laufen, überschlagen sich, schreiten wieder. So vereinen sie alle Tempi dieser eindrucksvollen 90 Minuten, die auch erzählen, was Tanz alles vermag. Und den furiosen Soli von Ralf Schneider und Ivo Nitschke lauschen dann auch die Tänzer. – Gäbe es eine Wiederholung-Taste, sie würde bestimmt gedrückt.