Foto: Zeitreisende in „Akins Traum vom osmanischen Reich“ © Tommy Hetzel
Text:Detlev Baur, am 24. Februar 2024
In der letzten Inszenierung des scheidenden Intendanten Stefan Bachmann am Schauspiel Köln, einem Auftragswerk von Akın Emanuel Şipal, verbindet der Autor eigene Beklemmungen in Gelsenkirchen mit großer osmanischer Vergangenheit. Die Regie begegnet dieser Herausforderung durch eine Sprechoper.
Zu Beginn schält sich auf der weiten, leeren Bühne im Depot 1 des Schauspiel Köln in einem harmonischen Sprechtanztheater das „Alter Ego“ des Autors (Mehmet Ateşçi) aus einer Gruppe schwarz gewandeter Stimmträger heraus: voller Selbstzweifel, als überforderter Vater und Schriftsteller im ethnischen Schmelztiegel Gelsenkirchen führen ihn dann „Traum“ und „Halbpferd“ ins Nordwestanatolien des Jahres 1299: Der Nomadenhäuptling Osman wird hier zur Gründung eines Weltreiches überredet.
Zeitreisen wie im Traum
In den folgenden knapp zwei Stunden spielt das neunköpfige Ensemble Stationen aus diesem zentralen und langen Kapitel der europäischen Geschichte an, werden Aspekte wie die religiöse Toleranz und die Macht der Herrscherfrauen erwähnt und immer wieder mit der Gegenwart zu Gelsenkirchen in Beziehung gesetzt, begleitet von türkischen Übertiteln. Şipal will in „Akıns Traum vom osmanischen Reich“ das Kölner Publikum nicht allein mit türkischer oder deutsch-türkischer Gegenwart konfrontieren, sondern die große und lange Vorgeschichte eines Weltreichs aus anderer Perspektive zeichnen. Die uns bekannten „Türken vor Wien“ sind hier nun die „Osmanen in Buda“. Da kommt es denn auch zu einer herrlich komischen Szene zwischen Kaiser Ferdinand (Stefko Hanushevsky) und Süleyman (Bruno Cathomas), in der die zivilisatorische Überlegenheit des östlichen Vielvölkerstaats offensichtlich wird. Andererseits spart dieses „Lehrstück“ auch nicht mit Hinweisen auf die Ambivalenz der osmanischen Herrschaft. Wie im Traum reisen wir rasant durch mehrere Jahrhunderte.
Mit prunkvollen orientalisierenden Kostümen (Adriana Braga Peritzki) und begleitet durch ein kleines Kammerorchester unter der Leitung von Sven Kaiser zielt Bachmanns Regie auf ein süffiges Historienspiel, oft mit musikalisch untermaltem rhythmisierten Sprechen. Im Zusammenspiel mit der von Olaf Altmann wirkungsstark durch zig von oben herabgelassene Leuchtstäbe gestalteten Bühne entsteht so eine kunstvolle Traumwelt voller Tableaus und kleiner Kabinettstückchen.
Großes kleines Finale
Bis zur Schlussszene wirken die Leiden des zerrissenen Autors dabei eher kunstvoll als persönlich greifbar: „Ich kann nicht loslassen, ich bin die Form“ beichtet er dem Traum (Melanie Kretschmann) und die Form bedient die Inszenierung virtuos; der tiefere Sinn dieser Traumreisen, die persönliche Dringlichkeit bleiben allerdings lange eher ausgestellt. Schließlich wird für die Beschreibung des Endes des Hauses Osman im Jahre 1924 die fünfzehn Jahre später geborene Margot Gödrös als freundliche alte Dame im Rollstuhl zwischen den inzwischen am Boden verglimmenden Leuchtstäben neben das erschöpfte Alter Ego gerollt: im melancholisch grundierten Austausch beschreiben die beiden (zusammen mit Melanie Kretschmanns Traumgestalt) das Ende des Osmanischen Reichs und deuten damit eine komplizierte Zukunft des Nachfolgestaates Türkei an. Und dann singt Mehmet Ateşçi ergreifend allein auf weiter Bühne ein wundervolles türkisches Liebeslied, die Übertitelung lässt nun auf deutsch eine „Erinnerung an Istanbul“ aufleuchten. Hier vermittelt sie sich sinnlich, die Kraft der Erinnerung und die innere Zerrissenheit des Autors oder seiner Hauptfigur.