Foto: Kristin Steffen, Daron Yates und Michaela Steiger im Bühnenzug © David Baltzer
Text:Detlev Baur, am 10. Mai 2024
Als eine der letzten Premieren der Intendanz Stefan Bachmanns zeigt das Schauspiel Köln eine Dramatisierung von Emine Sevgi Özdamars „Ein von Schatten begrenzter Raum“. Nuran David Calis‘ Inszenierung illustriert den autobiographisch geprägten Roman der türkisch-europäischen Theaterfrau und Schriftstellerin mit wenigen eigenen Akzenten.
Emine Sevgi Özdamars Roman erschien 2021. Er lässt sich durchaus als Ode an das deutsche Theater lesen. Benno Besson, Matthias Langhoff, Hermann Beil, Heiner Müller und viele andere sind nicht nur zentrale Figuren; sie kommen auch durchweg gut weg – als faire Chefs. Der Regisseur Besson wird der Ich-Erzählerin gar zur neuen Heimat.
Nach dem Militärputsch in der Türkei hatte die Schauspielerin ihr Land verlassen, um in den frühen 70er Jahren im geteilten Berlin auf beiden Seiten der Mauer, dann in Paris, dann wieder in Berlin und Bochum Theater zu machen. Anders als von ihr selbst bzw. den inneren Stimmen (von Krähen) vorhergesagt, arbeitet sie in Bochum als „Putzfrau“, nämlich indem sie in Matthias Langhoffs Braasch-Inszenierung „Lieber Georg“ auf ihre eigene Initiative hin die Rolle einer irritierenden türkischen Putzfrau auf der Bühne einnimmt. An diesem Theater beginnt auch ihre Karriere als Dramatikerin mit dem Stück „Karagöz in Alamania“.
Zeitreise durch Europa und die Theaterwelt
Bei allen Problemen, die sie im von Schuld und Nationalsozialismus traumatisierten Deutschland sieht, zeichnet die Autorin ein freundliches, melancholisches Bild vom deutschen Theater, das ihr neue Wege bot. Auf der anderen Seite stehen militärische Gewalt im eigenen Land, wie sie etwa in Telefonaten mit den Eltern von diesen unmittelbar geschildert werden. Nuran David Calis und die Autorin der Bühnenfassung Stawrula Panagiotaki unterstreichen besonders die Brutalitäten gegen die einheimische armenische Bevölkerung, während die innerdeutschen Brüche keine Rolle spielen.
Kristin Steffen, Michaela Steiger und Daron Yates spielen die Figuren im Wechsel in schwarzer Existenzialisten-Kluft (Kostüme: Sophie Klenk-Wulff). Im Mittelpunkt der kleinen Bühne des Depot 2 steht ein Teil eines 70er-Jahre D-Zugwagens (Bühne: Anne Ehrlich). Wenn die dreieinige Erzählerin im Inneren der Theaterwelt zu Berlin und Paris ankommt dreht sich der Wagen und wir sehen die originalgetreuen Innenausstattung mit roten Plastiksitzen: nicht schön, aber für ältere Semester Erinnerungen an eine zuverlässige (Bahn-)Welt weckend.
Freundliche Theatermenschen
Mit Hilfe von Live-Kameras entwickelt die knapp zweistündige Inszenierung ein Reisepanorama aus einer schwierigen, im Kern aber heilen Welt. Nette Theatermenschen wie auch die freundlichen Eltern geben bei aller Unsicherheit um Aufenthaltstitel und Unrecht im Heimatland und bei allen Ortswechseln. Das wirkt nicht immer aufregend, ist in der Darstellung eher routiniert als ergreifend und tranportiert nur selten die teils fantastischen Sprachbilder Özdamars.
Und doch gelingt es dem Kölner „Von Schatten begrenzten Raum“ gerade in der sentimentalen Rückschau auf ein vergangenes Europa indirekt aktuelle Verluste aufzuzeigen: Denn in dieser Vergangenheit des ausgehenden 20. Jahrhunderts ist das (deutsche) Theater noch ein Rettungsort. Das ist eine reichlich ungewöhnliche Perspektive auf eine Szene, die sich in den letzten Jahren auf eigene Unzulänglichkeiten fokussierte.
Und was sich bei dem erfolgsgekrönten Klagenfurter Ausflug zum Ingeborg-Bachmann-Preis bei der Begegnung mit dumpfen einheimischen Soldaten andeutet, zeigt sich ja längst auch in Mitteleuropa, jenseits türkischer Diktatur und Völkermords: Gewalt und Tyrannei bedrohen Menschlichkeit und freie Kunst, die Schatten über Europa sind mächtiger geworden.